In diesem Bericht werden keine Namen genannt und keine Orts- und
Datumsangaben gemacht. Reiner Selbstschutz, weil jeder der
Charaktere dieses Rock’n’Roll-Schauspiels mir wohl gepflegt die
gestählte Stiefelspitze in den Allerwertesten rammen würde.
Ausserdem werden aus Datenschutzgründen auch keine Fotos hier
veröffentlicht. Falls sich dennoch jemand hier erkennt (für
Dagewesene wird es ziemlich offensichtlich sein) – sorry Leute, aber
es musste sein! Nehmt es mit Humor und vergesst nicht – ich bin
selbst eines dieser wandelnden Klischees, Teil dessen, was unsere
heissgeliebte Szene ausmacht. Wer nun also mehr wissen will von
musikalischen Lokalhelden, bösen Mötley Crües und luftlosen
Freundinnen, horns up and enjoy the show! ...und viel Spass beim
Klischees zählen! (Klischee Nummer 1 ist natürlich, dass ich diese
Zeilen am Tag danach mit einem gewaltigen Brummschädel
niederschreibe...)
Wird ein schon länger geplantes Konzert kurzfristig abgesagt,
braucht man ein Ersatzprogramm, ganz klar. Was eignet sich dazu
besser, als die Plattentaufe einer lokalen Thrash Metal-Berühmtheit
mit Gästen? Auf geht’s also ins metallische Entwicklungsgebiet. Man
fragt sich einmal mehr, wieso die kleinen Rockschuppen immer so
dermassen in der Provinz und dort noch in der abgelegensten Pampa
liegen müssen. Anyway, der true-e Metaller kämpft sich doch gerne
durch Wind und Schnee für ein, zwei Bier und ein bisschen laute,
böse Musik. Drinnen ist es dann doch gemütlicher und das Bier
schmeckt eben doch besser, wenn man es sich erst verdienen musste.
Die Bar füllt sich nach und nach mit den üblichen Gestalten, die man
an diesen einschlägigen Anlässen so antrifft: Fans in jedem Alter,
ein Shirt böser als das andere. Ausser der Jugendliche, der sich in
der ersten Reihe am Thrash-Konzert den Schädel weg-bangt. Der trägt
nämlich passenderweise ein Led Zeppelin-Shirt, das er wohl im
Schrank vom Vater gefunden hat. Selbsterkorene
Metal-Schönheitsköniginnen, die stolz ihren Bierbauch im knappen
Top, das ebendiesen mehr als frei lässt, präsentieren, der eine Typ,
der schon betrunken durch den Club fällt, bevor das Konzert
überhaupt begonnen hat und hinten an der Bar lehnt einsam der
zutätowierte Schönling. Rein objektiv und völlig realistisch
betrachtet sind natürlich meine Sister in Rock und ich die „sexiest
girls in the bar“ (was sonst?), ein Umstand, dem wir es zu verdanken
haben, dass es nicht lange dauert und schon schlendert der Punk aus
Berlin (er ist natürlich kein Deutscher, sondern Berliner) in unsere
Richtung und möchte uns mit einer banalen Frage à la „Wann fährt
denn der Bus?“ nur kennenlernen möchte – das ist natürlich keine
Anmache, ganz klar. Und weil wir trotz seinen mehrmaligen
Beteuerungen seine Absichten nicht für unschuldig halten, drückt er
die Rewind-Taste, dreht eine Runde durch den Club und versucht einen
zweiten Anlauf, der ihm (aber nur ihm) unverfänglicher erscheint.
Leicht verspätet beginnt dann tatsächlich noch der Grund unserer
Anwesenheit – das Konzert. Da die Bühne so klein ist, muss der
Drummer unter der Bar durchkriechen, um an seinen angestammten
Schiessbudenplatz zu kommen.
Die erste Band ist jung, enthusiastisch, voller Energie und
überzeugt von ihrer Sache. Und natürlich ultimativ böse und hart.
Amtlich und gut gemeint rumpeln sie sich durch ihr Set. Leider aber
mit dem Los des Openers – das zaghafte und/weil noch viel zu
nüchterne Publikum zieht es noch vor, sich im Barbereich aufzuwärmen
und lässt sich weder vom ambitionierten
Hochgeschwindigkeits-Geshredde des zukünftigen 6-Saiten-Virtuosen,
noch von den Aufforderungen des Frontschreihalses an den Bühnenrand
locken. Rhythmusgitarristen haben da bekanntlich nicht viel zu
sagen. Deshalb macht dieser hier optisch auf sich aufmerksam. Mit
einem knallpinken, plüschigen Etwas am Gitarrengurt. Sehr böse! Sein
Haustierchen schenkt er später am Abend dann einem Groupie. Dem
steht es besser. Auch der Drummer hat sich Gedanken über sein Outfit
gemacht – die Unterhose ist farblich auf das Taschen-Inlay seiner
Hose abgestimmt.
Band Nummer zwei ist wie üblich die beste des Abends. Altgediente
Herren, die ihre noch nicht ganz verlorene Jugend auf der Bühne
wiederbeleben. Authentisch, so hat Thrash Metal schon vor 25 Jahren
geklungen. Das Konzept funktioniert immer noch: Man nehme statt der
Les Paul oder der Strat eine bösere Gitarre, man nehme statt einem
alten Marshall Röhrenamp einen böseren Lärmerzeuger, man singe
etwas tiefer und böser und man verwende mehr und bösere Doublebass –
dann funktionieren die Mötley Crüe-Songs doch gleich als Thrash
Metal. Abgesehen davon haben Bassisten heutzutage eh alle die
gleiche Frisur, und selbst diese wurde von Nikki Sixx erfunden.
Mittlerweile ist der berliner (nicht deutsche) Punk zu unserem
selbsternannten besten Freund geworden, sein Alkoholpegel ist jetzt
aber leider schon so hoch, dass jedes noch so tiefgründige Gespräch
seiner nicht mehr ganz verständlichen Artikulation zum Opfer fällt.
Besagter Alkoholpegel rührt mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit daher, dass ein anderer neuer bester Freund eine
Runde Absinth nach der anderen anbietet. Unsereins lehnt dankend ab,
sonst glauben unsere neuen besten Freunde noch, wir seien ihnen
gegenüber zu etwas verpflichtet.
Als ob der gesamte Abend nicht sowieso schon vor Selbstironie
strotzt, beginnen die Klischees jetzt erst richtig! Der Headliner,
die lokale Metal-Grösse, deren neuester auf Scheibe gepresster Lärm
ja heute getauft werden soll (mit Bier, versteht sich), hat eine
ganz beachtliche Fanschar in den Club gezogen, die nun zu ihrer
Höchstform aufläuft. Obligatorisch ist die crowdsurfende
übergewichtige Sadomaso-Gummipuppe, die man mit einer Bierflasche
anal penetriert, die arme. Ebenso kommt man nicht aus ohne den
Circlepit, für den eigentlich gar kein Platz ist, oder dem einen
Fan, der auf die
Bühne stürmt, sich das Mikrofon schnappt und den
Song textsicherer als der eigentliche Sänger (dieser hat sich die
Texte nämlich ausgedruckt und auf die Monitorboxen geklebt) zum
Besten gröhlt. Irgendwann taucht ein herrenloser Schuh auf der Bühne
auf. Amtlich schreitet die Band dann auch zur Taufe ihrer neuen
Geräuschkulisse für Amokläufe. Die ersten drei Ausgaben werden
verlost an diejenigen, die am schnellsten eine Flasche Bier (eine
kleine) auf Ex trinken können. Das zierliche kleine nietenbestückte
Groupie lässt es sich selbstverständlich nicht nehmen, sich an dem
Wettkampf zu beteiligen, aber nicht ohne vorher lauthals bekannt zu
geben, sie brauche aber einen Kotzkübel in Reichweite.
Das wilde Treiben geht froh und munter und immer
alkoholgeschwängerter weiter, was zur Folge hat, dass irgendwann ein
Typ an mir vorbeiläuft, die inzwischen zu Tode vergewaltigte
Gummipuppe geschultert, und mir erklärt: „Meiner Freundin ist die
Luft ausgegangen!“ Ach ja, und das unvermeidlichte „Hast du mal
Feuer?“ vom anfangs erwähnten Schönling ist inzwischen auch bei mir
angekommen...
Zum krönenden Abschluss gibt es noch ein paar
Überraschungs-Showeinlagen. Zum einen bitten die lokalen
Thrash-Stars den Sänger / Gitarristen einer etwas mehr als lokal
berühmten Thrash-Band als Stargast auf die Bühne, um sie für einen
Song zu beehren. Zum anderen gibt die sonst von Haarausfall und
Alltagsjob geplagte und deshalb kurzhaarige Band ein Iron Maiden
Cover zum Besten, geschmückt mit Perücken, um endlich auch mal lange
Haare zu haben.
Damit die Klischees auch wirklich alle bedient sind, lasse ich mir
von den Stars des heutigen Abends ihre Setlists unterzeichen. Mit
Kajal, selbstverständlich! Währenddessen habe ich noch das
Vergnügen, an einer Diskussion bzw. einem Kräftemässen der IQ-Werte
zwischen Bassist und Fanclubleiterin zu lauschen (und mich daran zu
beteiligen, eh klar!). Schlimm nur, dass der IQ-Wert
verhältnismässig zum steigenden Promillewert sinkt. Der Gitarrist
der ersten Band beehrt mich auch noch kurz: „Du bist doch Joey,
oder? Hier ist die CD von uns, die ich dir schon seit zwei Jahren
geben sollte...“
Langsam leert sich die Halle und nur noch die letzten Alkoholleichen
fallen durch das verschüttete Bier und die Zigarettenstummel.
Mittendrin steht ganz verloren der Typ mit der luftlosen Freundin,
mit ihr trauernd ins Gespräch vertieft: „Oh nei, du arms Schätzeli,
etz bisch würklech kabutt!“ Ein einprägsames Bild zum Abschied, und
so bleibt mir, nicht mehr ganz nüchtern (Not macht erfinderisch,
aber oft nicht ganz schlau: da kein Wasser vorhanden war, wird der
Absinth einfach mit Sprite gemischt. Schmeckt vorzüglich!), nur noch
die Entscheidung, mich von Captain Spaulding oder doch lieber von
meinem heutigen Prinzen zum Bahnhof fahren zu lassen...
Good night Headbangers, und dass das Bett sich nicht zu sehr
drehe...
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