Livereview: Baroness - Poisson Autists
13. Juli 2010, Bad Bonn, Düdingen
By El Muerte   Pics: Chris Curtis
Es gibt sie noch, diese Momente, die zählen. Im heutigen Zeitalter des neurotischen Multitaskings gepaart mit der multimedialen Dauerberieselung ist es schwerer denn je, den Fokus auf die bestimmenden Faktoren zu richten. Musik bietet dabei schon seit Jahrtausenden den Ausweg aus dem Dilemma – Ohne es konkret zu realisieren, unterwerfen sich tagein, tagaus etliche Menschen dem Bann der physikalischen Schallausbreitung, sei es per erworbenem Medium oder Live-Erlebnis indiziert. Dabei hat vor allem die zweitgenannte Situation das Potential, eine magische Dynamik zu erschaffen: Die tragende Formel hinter dem Konstrukt wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben – Aber es gibt Momente, in denen sich ein universeller Puls von der Bühne über das Publikum ausbreitet, und jeden einzelnen Besucher mit den auftretenden Musikern verbindet.

Zugegeben, sie machen sich rar, diese Momente. Es scheint, als würden sich die Bands zu Massen der Gleichströmigkeit ergeben, und im Schwindel des Tourtrotts ihre Ecken und Kanten abwerfen. Auf die Bühne, Setliste runterhaspeln, in den Bus, auf zur nächsten Show - Drei Monate am Stück, das Geld muss rein, zumal die Plattenfirmen die Finger mittlerweile auch in den Konzert-Gagen drin haben… Dass da der Geist auf der Strecke bleibt, erklärt sich von selbst. Aber es gibt einige Orte in unserer wunderbaren Schweiz, da werden bewusstseinserweiternde Shows zelebriert, als gäbe es keinen Morgen. Musikalische Offenheit gepaart mit gutem Riecher ist hier die Zauberformel – Funktioniert im Bad Bonn schon seit sensationellen 25 Jahren, und hat nun endlich auch Baroness angeschwemmt.

Fünfzig Minuten wollte das amerikanische Quartett ursprünglich spielen, neunzig vom Schweiss triefende sind es schlussendlich geworden - Das Publikum wollte die Band nicht mehr ziehen lassen, und die Band wollte dem Publikum ihr Innerstes nach aussen kehren. Schlussendlich haben beide Parteien ihre Wünsche erfüllt gekriegt, während die Statistik eine Standing Ovation hinlegt: Aus der ganzen Schweiz angereiste Gäste, proppenvolles Haus, gefühlte fünfundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit bei sechzig Grad Celsius Raumtemperatur, an eigenen und wildfremden Körpern klebende Klamotten, breite Grinsgesichter soweit das triefende Auge reicht – Und obendrauf beim Merchandise ein Geschäft wie zum Weihnachtsausverkauf. Sänger/Gitarrist John Baizley stimmt deswegen vor der ungeplanten Zugabe zu einer ellenlangen und mindestens eben so mitreissenden Ansprache an, die wohl in die Geschichtsbücher des Clubs eingehen wird, und (Frei übersetzt) in folgendem Satz mündet: «Wir haben Jahre lang sämtlichen Scheiss mitgemacht, nur um solche Shows wie heute spielen zu können - Ihr seid es wert, ihr macht es möglich».

Es gibt sie also definitiv noch, diese Momente. Man sollte einfach nicht so bescheuert sein, sie nur bei den Grossen der Szene zu suchen - Emotionen sind in erster Linie die Waffe des Individuums. Baroness haben dies aus der Hüfte demonstriert, und schon allein dafür lag ihnen das Publikum zu Füssen. Ach ja, Poissons Autistes haben auch noch gespielt - Elektronischer Post-Rock, der angesichts der mächtigen Konkurrenz spurlos verpuffte.