Swiss Hard Rock and Heavy Metal Magazine since 1999
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Metal Factory since 1999
Heilige Scheisse, nur schon die Bezeichnung Experimental Hardcore Sludge ist gewagt, doch es trifft den berühmten Nagel voll auf den Kopf, und somit ist wieder mal Tolstoi's "Schwere Kost" angesagt, zweifellos.
Aus Vilnius, Lithuania, im Jahre 2016 gegründet, scheppern uns schreiend Erdve mit «Savigaila» um die Hörlauscher und dringen tief in unsere hirnmasochistisches Gewissen hinein, trampeln wie Elefanten im berühmten Porzellanladen umher, richten grosse Schäden in den bislang erstandenen Erkenntnissen an, irgendwie lernen wir innert Sekunden, wie litauisch gesprochen und gesungen wird und dies bei nüchternem, vollem Bewusstsein. Ich glaube nun ernsthaft, ich muss da mal in der Chefetage bei Metal Factory ein paar Zeilen loswerden, denn dies geht ja in Richtung Burnout hin. Übertreibst du nun oder kotzt sich soeben dein Hirn aus der angenehmen Hirnmasse heraus? Mmh, gute Frage, auf jeden Fall hat mein Hirn in meiner (noch) vorhandenen Hirnmasse schweren Seegang und es kommt mir so vor, als würde ich von einem Shrapnelhagel wie in einem Luftkampf aus dem 2. Weltkrieg malträtiert werden. Aber, wisst ihr was an diesem Masochismus tatsächlich so passt? Es entsteht eine Goilheit musikalischen Noise Sludge Core Hardcore Death Slam weiss-ich-noch-was Grind empor und erschleicht so meine noch funktionierenden Sinne in Wohlfühlaromatik. Der zelebrierte Stilhybrid à la Neurosis, Cult Of Luna, Nyksta, Sraiges Effektas, Spirale und Dodecahedron passt bestens in diese pandemiegeschwängerte, unsichere Zeit, und die Dissonanzhybriden lassen den Soundteppich gefährlich lordernd aufbringen, zuher flackern und die Welt heilend zerstören. Geht das alles einher? Oh ja, das passt perfekt. Klar, es wird auch wohl eine bestimmte Zuhörerschaft auf diesen Zug aufspringen müssen, beziehungsweise ist schon drauf, und mich werdet ihr dort auch finden.
Also, «Savigaila» ist das Zweitwerk, das Erstwerk im 2018 nannte sich «Vaitojimas» und ist genauso spannungsgeladen wie eben dieses elftrackige «Savigaila». Erdve bestehen aus Vaidotas Darulis (Guitar, Vox, Recording, Visuals), Valdas Voveraitis (Drums, Visuals) und Karolis Urbanavičius (Bass, Piano). «Savigaila» wurde im Alleingang von Vaidotas Darulis produziert, gemischt und gemastert, sowohl auch das Cover-Artwork perfekt passend gestaltet. Somit erwartet uns ein Wall an powervoller, messerscharfer, druckvoller und klarer Produktion. So, die Gitarren riffen sich ultrabrutal hart durch die Songs, einzelne, stehende Töne, gitarrentechnische Geräusche und kurze wie prägnante Melodiebögen können als solodeske Ausflüge betrachtet werden. Die Vocals sind screamend, shoutend, guttural eher im tiefen und bösartigen Level anzusiedeln. Die hintergrundtechnischen Noise- und Soundfiles passen bestens zum niedergangsmelancholischen Sound. Der Bass wummert klar und druckvoll und meist autark durch den Soundteppich. Das pianistische Modul gleitet und einverleibt sich zart melancholisch, leicht dissonant, ebenfalls heftigst in den Noise-Core-Sludge. Die Drums wirbeln ebenfalls autark, double-bassend, blastend, grindcorig, noisig, sludgig, hardcorig und heftig niederprasselnd auf «Savigaila», so dass die Abstraktheit des Niedergangs in aller Form zelebriert wird. Anspieltipps wären da «Bendryste», «Betonas», «Lavondemes», «Savigaila» und «Takoskyra». Ach ja, «Savigaila» bedeutet in unserer Sprache etwa "Selbstfürsorge", "Selbstpflege", "Selbstversorgung". Oh ja, die habe ich zu 100% erhalten, kein Wenn und Aber. Ich habe schon lange nicht mehr ein solch heftiges Wechselbad musikalischer Gefühle durchlebt und rezensiert, wie ich es soeben bei Erdve erleben durfte. Das ist avantgardistische Musikkunst wie dessen Genuss, und ich habe dies verstanden.
Poldi