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OPETH sind seit langem eine Band, die von der Unberechenbarkeit lebt und ihr Publikum mit jeder Veröffentlichung herausfordert. Aber mit «The Last Will and Testament», ihrem vierzehten Studio-Album, haben sie sogar ihre eigene legendäre Unvorhersehbarkeit übertroffen.
Dunkler, härter und progressiver als alles, was sie seit Jahrzehnten gemacht haben, ist dies ein Album, das ihr Vermächtnis neu definiert. Kompromisslos in seiner Vision ist es ein episches Konzept-Album - eine Geschichte, die durch einige der wildesten und experimentellsten Kompositionen vermittelt wird, die Mikael Åkerfeldt je geschrieben hat. Vom ersten Ton an ist klar, dass «The Last Will And Testament» etwas Besonderes ist. Tatsächlich ist es nicht nur eine Sammlung von Songs, sondern ein musikalisches Erlebnis.
Das erste vollständige Konzept-Album der Band seit ihrer Gründung ist eine beeindruckende Rückkehr zu Opeths Wurzeln und gleichzeitig ein Vorstoss in unbekanntes Terrain. Mit der Erzählung der Testaments-Eröffnung eines kürzlich verstorbenen Patriarchen trieft das Album vor Spannung und Dramatik, während Åkerfeldts beschwörende Growls - die ersten seit «Watershed» von 2008 - eine triumphale Rückkehr feiern. Das neue Werk ist nichts weniger als monumental.
Mit Gastauftritten von Ian Anderson (Jethro Tull, Querflöte auf «§4», «§7», «A Story Never Told» und gesprochenes Wort auf «§1», «§2», «§4» und «§7») sowie Joey Tempest (Europe, Hintergrundgesang «§2») fliesst «The Last Will And Testament» wie eine filmische Rockoper - dunkel, rätselhaft und zutiefst komplex. Es ist ein Album, das man sich in seiner Gesamtheit anhören sollte, wobei jeder Track ein wesentliches Kapitel in einer Saga von Betrug, Familienzwist und verdrehten Enthüllungen darstellt.
Die acht Tracks, von denen nur der Letzte genannt wird («A Story Never Told»), sind in nummerierte Kapitel unterteilt, von denen jedes die Geschichte mit atemberaubender Dramatik entfaltet. Der Opener «§1» setzt den Ton perfekt - ein kompliziertes Geflecht aus Trauer und Intensität, in dem die Gitarren an Fahrt gewinnen, bevor Åkerfeldts Growls die Atmosphäre wie ein Donnerschlag durchbrechen. Es ist, als ob die Luft selbst dick vor Angst und Spannung wird. Der Track wechselt von düsteren Klanglandschaften hin zu explosiven Crescendos und drängt den Zuhörer dazu, jede Wendung in der sich entfaltenden Geschichte mitzuerleben.
Hier erscheint auch der erste Sprechgesang, eingebracht von Mirjam Åkerfeldt. Der Übergang von einem Song zum nächsten ist nahtlos - «The Last Will And Testament» will als Gesamtwerk gehört werden, als eine kontinuierliche Reise durch eine Schattenwelt. Im weiteren Verlauf steigert sich die Komplexität weiter. «§2» ist dabei ein orchestrales Wunderwerk mit ausladenden, cineastischen Schnörkeln und sakralen Chören, die den Geist des klassischen Progressive Rock der 70er Jahre heraufbeschwören - man denke an Genesis, Marillion oder sogar «Jesus Christ Superstar» - aber immer mit Opeths charakteristischer Schwere, die jede Bewegung wie einen Donnerschlag wirken lässt.
Dies ist kein Song, den man sich einfach nur anhört, sondern ein Stück zum Erleben, das sich tief in die Seele frisst. Mit seinem detaillierten Arrangement und seiner gefühlsbetonten Spannung wir die Bühne für die darauf folgende Majestät aufbereitet. «§3» vertieft die Intrige mit einer zugänglicheren, melodischen Struktur, die sich im Kopf festsetzt und nicht mehr loslässt. Obwohl es weniger rau ist als sein Vorgänger, besitzt es immer noch eine treibende Intensität, die ein Gefühl der Dringlichkeit und eine erzählerische Dynamik aufrechterhält, die einen weiter in die Geschichte hineinzieht.
Jeder Track ist nicht nur ein Stück Musik, sondern eine vollständig realisierte Erfahrung, mit Gesangs-Melodien, die einem noch lange nach dem Ende im Gedächtnis verbleiben. Einer der bemerkenswertesten Momente ist der Auftritt von Ian Andersons Querflöte auf «§4». Seine eindringlichen, klagenden Töne verflechten sich mit schimmernden Gitarren, bevor sie in eine Keyboard-Passage übergehen, die den Zuhörer in eine reiche, jenseitige Atmosphäre einhüllt. Dieser Track ist, wie ein Grossteil des Albums, ein unvorhersehbarer Wüstenwind, der von ruhiger Schönheit zu intensiven Growls so fliessend übergeht, dass man nie weiss, was als nächstes kommt - aber man verbleibt gespannt, auf die nächste Wendung lauernd.
Bei «§5» treten erstmals orientalische Klänge auf, begleitet von einer verzerrten Stimme, die an Roger Waters in «The Wall» erinnert. Dem folgt ein Chor, der ein wenig an Queen denken lässt. Das Ganze hebt sich durch seine komplexen Arrangements und genreübergreifende Kühnheit hervor und wirkt wie eine Offenbarung. Es ist ein Epos, das lebendige Landschaften malt, zwischen Spannung und Entspannung wechselt, sich von zarten Momenten hin zu treibenden Gitarren-Ausbrüchen aufbaut und dabei einen cineastischen Sinn für das Erzählen von Geschichten beibehält.
«§6» ist das Masterpiece, bei dem Opeth wiederum ihre ganze Bandbreite entfesseln. Er beginnt mit Hammond-Orgel-Riffs, die an Deep Purple erinnern und steigert sich dann zu einer hymnischen Passage, bevor er sich in das volle Heavy-Terrain stürzt. Eine schwindelerregende Darbietung der stimmlichen Vielseitigkeit, denn Åkerfeldt wechselt zwischen klarem, melodischem Gesang und wilden Growls und führt den Zuhörer durch eine breite Palette von Stimmungen, von zarter Schönheit bis hin zu unerbittlicher Intensität.
Die Komplexität des Stücks ist auf die bestmögliche Art und Weise überwältigend - es ist ein Beweis für die schiere musikalische Meisterschaft der Band. Der vorletzte Track, «§7», erforscht diese komplexen Texturen weiter, mit einer Balance aus opernhaften Refrains, hypnotischen Keyboard-Linien und brutalem Metal, alles untermauert von Åkerfeldts souveräner Stimme. Diese Nummer ist eine Meisterklasse in Dynamik, wechselt von schwer zu ätherisch und überrascht immer wieder mit Melodien, die aus dem Nichts auftauchen und alles auf eine völlig neue Ebene anheben.
Die ständigen Veränderungen in Ton und Intensität halten einen gefangen, während die Geschichte von Verrat und Verlust ihren dramatischen Höhepunkt erreicht. Schliesslich gipfelt das Album in der atemberaubenden Klavier-Ballade «A Story Never Told“. Eine melancholische Ode, die auch aus der Feder der Prog-Giganten Transatlantic stammen könnte. Die Schluss-Nummer trägt die stille Schönheit einer letzten Reflexion in sich, bevor diese mit einem Gitarren-Solo endet, das sowohl traurig als auch transzendent ist.
Ein wahrhaft Floyd'scher Moment, der einen mit einem Gefühl von Erfüllung und Wehmut zurücklässt. «The Last Will and Testament» ist nicht einfach nur ein weiteres Album unter vielen, es ist vielmehr eine emotionale und klangliche Reise, die einem den Atem raubt. Opeth haben damit wieder einmal bewiesen, dass sie neue Wege gehen und gleichzeitig ihren Wurzeln treu bleiben können, indem sie ein musikalisches Monument geschaffen haben, das so komplex, abwechslungsreich und ehrgeizig ist wie alles zusammen, was sie bisher gemacht haben. Eine perfekte 10 von 10 Punkten.
Lukas R.