Peter "Peavy" Wagner lenkt seit über 41 Jahren das Geschehen bei Rage. Die deutschen Metal Truppe hat in den vier Jahrzehnten immer eine mitreissende Qualität abgeliefert. Mit dem neusten Werk «A New World Rising» steht der Soundchaser wie der Phoenix aus der Asche auf und hinterlässt der Welt einen positiven Anstrich. Auch wenn sich Peavy bewusst ist, dass aktuell alles ein bisschen "düsterer" daherkommt.
Dem 27. Studio-Album (zählt man «Prayers Of Steel» von Avenger, der Vorgänger-Truppe von Rage dazu) merkt man die Spielfreude und den unglaublichen Spass von der ersten bis zur letzten Sekunde an. Dies auch dank der Begleitband von Peavy. Mit Jean Borman (Gitarre) und Vassilios "Lucky" Maniatopoulus (Drums) hat der Bandleader Musiker gefunden, die seine Ideen und Visionen nicht nur verstehen, sondern bereichern und unterstützen. Seit 2020 und damals noch mit Stefan Weber an der zweiten Gitarre.
MF: Wenn man die Alben «Wings Of Rage», «Resurrection Day» und «Afterlifelines» anschaut, wurden die immer mit einem anderen Line-up eingespielt. Verändert dies die Vorgehensweise, die Songs und den Sound des jeweiligen Werkes?
Peavy: «Wings Of Rage» muss man gesondert ansehen, da dies noch mit Marcos (Rodriguez, Gitarre) entstand. Da war eine andere Band-Konstellation am Arbeiten. Durch die Handschrift von Marcos klingt das Album auch ein bisschen anders. Letztendlich hört man meine immer heraus, so dass es nach Rage klingt (grinst). Ab «Resurrection Day» war es mehr oder weniger die gleiche Konstellation, auch wenn hier noch Stefan Weber zu hören ist. Sein Einfluss auf die Musik war aber nicht so gross. Einige Riffs wurden verwendet, aber das Meiste habe ich zusammen mit Jean erarbeitet. Bei «Afterlifelines» habe ich alles mit ihm gemacht. Dieses Zusammenspiel hat sich gut bewährt. Das passt mit uns beiden und wir sind zu einem Super-Team gewachsen. Wir verstehen uns blind und müssen uns nicht gegenseitig erklären, wie unsere Ideen zu verstehen sind. Das fluppt und wir sind so schnell, dass bereits schon wieder vier neue Tracks fertig sind (lacht). Die werden das Licht der Welt aber nicht so schnell erblicken.
Es war auch nicht geplant, «A New World Rising» so schnell zu veröffentlichen. Das Material stand schnell bereit, ohne dass wir uns gross Gedanken darüber gemacht haben. Wir haben unser eigenes Studio in Leverkusen, wo Jean der Haupt-Engineer ist. So kann er Tag und Nacht ein- und ausgehen. Er fummelt immer ein bisschen herum und alle fünf Minuten, die er frei hat, rennt er runter und arbeitet. Seine Parts schickt er mir zu und wenn ich mir die anhöre, fallen mir sofort einige passende Dinge ein oder ich habe Ideen, die ich ihm zuschicke. Wir befruchten uns gegenseitig. Dabei entsteht sehr schnell, sehr viel gutes Material. Früher haben wir immer Demos erstellt. Dabei fiel oftmals die Inspiration des Augenblickes weg. Singst du eine Nummer zum ersten Mal, bist du am inspiriertesten oder am nächsten bei deiner Grundidee. Nimmst du dir diese Nummer ein halbes oder dreiviertel Jahr später wieder zur Brust und willst sie aufnehmen, bist du da einfach nicht mehr drin.
Du musst versuchen, das Flair des Demos zu reproduzieren und kommst nicht mehr so gut rein. Das hat mich in der Vergangenheit immer gestört. Es gibt dieses schöne Wort "Demo Love" (lacht), da man die Demos oftmals geiler findet als das Endprodukt. Auch wenn sie einen Scheiss-Sound haben und man sie so nicht veröffentlichen kann. Da ist die Grundidee am inspiriertesten festgehalten. Diesen Schritt können wir zum Glück nun umgehen, von der ersten Inspiration alles vernünftig aufnehmen und es später so verwenden. Sobald ich meinen Gesang fertig habe und ich bemühe mich immer schnell den Endtext zu haben… Ja gut, ab und zu singt man Quatsch und man geht mit einem "working titel" ins Rennen.
"...So sind teilweise sogenannte "first takes" auf der neuen Scheibe zu hören..."
Im Grossen und Ganzen konnten wir die ersten Inspirationen bereits verwenden. So sind teilweise sogenannte "first takes" auf der neuen Scheibe zu hören. Dadurch klingt die Platte in meinen Ohren sehr frisch und inspiriert, verglichen mit anderen Produkten von Rage. Wir haben uns in den letzten fünf Jahren sehr gut eingespielt. Dies wurde mit jedem weiteren Album immer besser. Wir sind gut im Saft (lacht). Die Stimmung in der Band ist supergut! Das ist etwas, das vieles kaputt machen kann, wenn man bandinterne Problem hat, nicht mehr miteinander redet und sich nicht mehr wohlfühlt. Das hemmt den Kreativfluss und die Ergebnisse. Zum Glück ist dies alles aktuell bestens bei uns.
MF: Das war das erste, was mir beim Anhören aufgefallen ist. Es klang alles sehr, sehr frisch, ungehemmt und locker, einfach Spass ohne Ende.
Peavy: Genau so hat es sich auch angefühlt, denn wir hatten keinen Druck. Letztes Jahr feierten wir unser 40-jähriges Jubiläum, mit einem fetten Doppel-Album («Afterlifelines») und einer fetten Tour. Dann kam die Band-Biographie heraus, da musste ich jahrelang recherchieren und mich an die alten Zeiten, vor meinem geistigen Auge, zurückerinnern (lacht). Bei dieser Vergangenheitsbewältigung kann ich nun einen Haken darunter setzen und von mir schieben. Ich muss keinem mehr etwas beweisen (grinst). Niemand hatte eine Erwartung an uns, nach all dem was in den letzten Monaten passierte. Keiner dachte, dass etwas Neues von Rage kommt. In einem solchen Moment, ohne inneren Druck und irgendwelchen Erwartungen standhalten zu müssen, kann man am besten Musik kreieren.
"...Wir haben gerade echt ein Luxusproblem..."
Du hast gerade alles wunderbar beschrieben. Im Grund hat sich bei uns nichts verändert, darum schreiben wir weiterhin an neuen Ideen (lacht). Da frage ich mich dann (lachend): "Was machen wir mit so vielen Songs?" Die Ideen sind noch nicht alle ausgearbeitet, welche wir für «A New World Rising» zur Verfügung hatten. Theoretisch könnte man die auch irgendwann nochmals herausbringen. Mal sehen, was mit ihnen passiert, sprich ob sie für die kommende Scheibe verwendet werden oder wir dann schon wieder zwanzig noch geilere Tracks am Start haben (lacht). Wir haben gerade echt ein Luxusproblem. Nach so langer Zeit finde ich das grossartig, dass wir noch immer in dieser komfortablen Situation sind und uns die Ideen nicht aus den Fingernägeln ziehen müssen. Das hätte ich mir früher nie vorstellen können, dass man im Alter nicht ausgebrannt ist, sondern noch immer voller Ideen sprüht.
Ich habe aktuell mehr Bock auf den ganzen Kram, als noch vor zehn oder zwanzig Jahren (lacht). Tatsächlich gab es eine Phase, da war bei mir mental alles am Arsch und ich konnte mir kaum vorstellen weiterzumachen. Seit ich mit diesen Jungs am Arbeiten bin, macht alles Spass. Gesundheitlich geht es mir auch besser, da ich dreissig Kilogramm abgenommen habe. Das macht den Alltag viel, viel leichter. Ich trinke nur noch wenig Alkohol, das macht den Geist freier. Das sind alles Kleinigkeiten, welche die Situation zusätzlich verbessert haben (grinst). Man fühlt sich viel besser und der Kopf ist freier. Es fanden tatsächlich Zeiten statt, da wollte ich nicht mehr aufstehen (lacht).
MF: Was mir sehr gut gefällt, ist die Art, wie ihr die Reihenfolge der Songs zusammengestellt habt. Hast du da eine klare Vision, wann welcher Song zu welchem passt?
Peavy: Wir hatten eine Grundidee, wie wir das zusammenstellen könnten. Dabei haben wir ein bisschen rumgewürfelt und ausprobiert. Ein paar Eckpunkte hatten wir. Es war schnell klar, dass «Innovation» der Einstieg sein sollte, weil er die brutalste und klarste Aussage besitzt. Es gab zehn bis fünfzehn Vorschläge und nach und nach hat sich alles eingependelt. Am Ende fanden es alle gut, haben genickt und so wird die Platte nun veröffentlicht (grinst). Wenn es dir auch gefällt, dann haben wir es wohl richtig gemacht (lacht).
MF: Der komplette Aufbau, ich finde es geil und sicherlich eines der besten Alben von euch…
Peavy: …ernsthaft? Da werde ich schon fast rot (grinst). Ich hatte gerade ein Gespräch mit einem netten Mann aus Honduras, für ihn ist «A New World Rising» unser bestes Album, das wir jemals gemacht haben…
"...Das finde ich realistischer, da wir doch den einen oder anderen Klassiker veröffentlicht haben..."
MF: …für mich ist es nicht die geilste, aber eine der geilsten…
Peavy: …das finde ich realistischer, da wir doch den einen oder anderen Klassiker veröffentlicht haben. Eine gewisse Grundlinie unterschreiten wir nie beim Komponieren. Dieses Qualitäts-Niveau muss vorhanden sein. Ich muss aber ehrlich sagen, wenn ich mir «A New World Rising» anhöre, macht das Ding richtig Laune. Das Album ist schlüssig und rund geworden, obwohl wir die so nicht auf dem Schirm hatten (lautes Lachen). Bei der «Afterlifelines» planten wir viel mehr im Vorfeld. Es sollte eine Doppel-Scheibe werden mit einem orchestrierten Part, aber auch einen Heavy-Teil beinhalten. Darum wurde auch in diese Richtung komponiert. Dieses Mal hatten wir keinen Schimmer, sondern haben einfach mal drauflosgeschrieben. Mal schauen, ob was Brauchbares dabei rauskommt (lacht)?! So ungeplant und unkalkuliert haben wir schon lange nicht mehr gearbeitet.
MF: Aber, es hat funktioniert!
Peavy: Ja! Es hätte auch in die Hose gehen können, aber offensichtlich hat es funktioniert (lacht).
MF: Welches war für dich die Nummer, welche dich am meisten gefordert hat?
Peavy (überlegt): Bei den einen oder anderen Parts, die ein bisschen mehr gefrickelt sind (grinst). Seit ich Teenager bin, spiele ich Bass. Was Metal ist, kriege ich gut hin und darum spiele ich auch keinen Jazz (lacht). Die Texte fluppten frei von der Seele, alles hat mich inspiriert. Das ging sehr schnell, und ich war total happy damit. Ich bin sehr stolz auf manche Sachen, wie «Fire In Your Eyes». Das ist ein Text, der mich selbst berührt und den ich sehr gelungen finde. Im Nachhinein interpretiere ich ihn als Liebeserklärung an die Metal oder Rage Fans. Man kann es auch als Liebeserklärung an meine Frau sehen, was es sicherlich auch ist (grinst). Ich dachte aber auch viel an die Rage Fans. Die Metal-Szene trägt mich schon mein ganzes Leben durch Höhen und Tiefen, sprich hat mir ermöglicht, mein Leben als "Metal-Peavy" zu verbringen.
"...Diese Musik verbindet die Leute weltweit..."
All diese ganze Jahre durfte ich mein Liebstes machen, diese Musik (grinst zufrieden). Ich konnte bequem davon leben, das ist ein Privileg und Geschenk. Dafür bin ich sehr dankbar. Diese Musik verbindet die Leute weltweit. Das ist ein anderes Gefühl, als in anderen Musik-Szenen. Diese Verbundenheit ist einzigartig. Denke ich an Leute wie Holger Hübner und die Metality, die sich nicht aufgesetzt für andere Leute engagieren. Die beziehen Leute, denen es nicht so leichtfällt, mit ein. Sie wollen Spass haben und nicht sehen, wie andere Menschen am Rand stehen. Das ist unaufgesetzt und imponiert mir. Das ist der Spirit, welcher die Metal-Szene schon immer besass. Das versuchte ich in diesem Track rüberzubringen. Mit einem Songtext kannst du keine komplexen Sachverhalte darstellen, dazu würdest du ein Buch brauchen. Ein Text kann nur eine kleine Idee und einen Ausschnitt sein, ein Kapitel sowie mit einem Blick auf etwas verweisen. Ich hoffe, dass ich eine positive Inspiration verteilen kann.
MF: Was ist der Grundtenor der neuen Texte?
Peavy: Das ist der Spirit, welcher die Metal-Szene schon immer hatte. Ich bin aktuell allem sehr hoffnungsvoll gesinnt. Seit der «Resurrection Day» könnte man die Texte über drei Alben wie eine Trilogie sehen. Bei dieser Scheibe versuchte ich die Geschichte der Menschheit von der Steinzeit bis hin zum sesshaft werden zu beschreiben. Diese Entwicklung der Zivilisation bis zum heutigen Tag, auch wenn es aktuell eher kritisch ist. In Mitteleuropa geht alles ein bisschen den Bach runter. In der Schweiz lebt ihr auf der Insel der Glückseeligen (lacht). Hier in Deutschland sieht man echt viele Verwerfungen. Jeder kennt die internationalen Krisen. Vieles, was Jahrzehnte lang funktioniert hat, wird nun über den Haufen geworfen und ordnet sich neu.
Viele Leute blicken sehr düster in die Zukunft und sind äusserst ängstlich. Bei «Afterlifelines» beschreibe ich den Zustand, wohin wir uns gerade bewegen. Aktuell sind wir noch nicht ganz unten angekommen, sprich die "bottom line" ist noch nicht erreicht. Erst wenn es dann mal richtig kracht (lacht). Wirtschaftlich werden dann ein paar Leute Federn lassen müssen und dieses postapokalyptische Szenario habe ich auf der letzten Scheibe beschrieben. Auf «A New World Rising» entsteht aus den Ruinen etwas Neues, also der normale Zyklus einer Entwicklung. Wenn du ganz unten angekommen bist, kann es nur hochgehen und wieder besser werden. Diese nähere Zukunft habe ich versucht anzudeuten und Ideen aufgenommen, wie man wieder zusammenfinden kann. Man muss sich doch wieder die Hand reichen können.
Wir leben alle auf diesem einen Globus und können im Moment nirgends anders hin (lacht). Die Leute werden sich früher oder später daran erinnern, dass man das Kriegsbeil und die ganzen Streitigkeiten beiseitelegen sollte. Vielleicht lernen wir auch, wie man sich im Internet benehmen sollte. Diese ganzen Auswüchse durchs immer schneller werden und die uns zuschüttende Technik, da sind wir doch ehrlich gesagt noch nicht alle daran gewöhnt, richtig damit umzugehen. Gewisse Leute bewegen sich in der Steinzeit und nutzen Medien, die sie nicht richtig bedienen können. Das löst bei vielen anderen Ängste aus.
"...Dann ist alles wieder ein bisschen schweizerischer..."
Die riesigen Medien-Landschaften, die alle ihre Nachrichten "verkaufen" wollen. Sie überdramatisieren alles und arbeiten mit Angst-Szenarien. So erhältst du mehr Klicks und Aufmerksamkeit. Das haben ganz viele noch nicht durchschaut und da muss alles zuerst mal runtergekocht werden. So schlimm wie vieles dargestellt wird, ist es oft nicht. Wenn die Masse dies begriffen hat, wird sich alles wieder beruhigen. Das ist meine Hoffnung und es wird auch wieder ein wenig gemütlicher bei uns (lacht). Dann ist alles wieder ein bisschen schweizerischer (lacht). Bei euch können sich einige Nationen eine Scheibe abschneiden.
MF: Euer Soundchaser (das Band Maskottchen) sieht auf dem neuen Cover wie ein Teenager aus, der seine Musik per Spotify konsumiert…
Peavy: …ja genau (lautes Lachen), das könnte man so sehen! Die Idee war, nach dem postapokalyptischen Szenario auf «Afterlifelines», wenn alles in Schutt und Asche liegt, entsteht eine neue Welt. Der Soundchaser schält sich aus seinem Kokon. Als jungenfrischer Schmetterling ist er knackiges Kerlchen geworden und begrüsst völlig rostfrei das Leben. Sonst war er immer ein bisschen lädiert (grinst). Ich hoffe meine Idee kommt rüber, dass aus alten Ruinen neues Leben entsteht!
MF: Peavy, herzlichen Dank für das spannende Interview. Wir sehen uns am 12.10.2025 in Pratteln.
Peavy: Ja gerne, komm vorbei. Danke dir für die jahrelange Unterstützung und bis bald. Wir sehen uns in Pratteln und schönen Abend, bleib gesund mein Lieber.