Über fast zwei Stunden hinweg erkundet das Münchner Kollektiv unter der Leitung von Winterherz die Sterblichkeit und das Vermächtnis durch zwei kontrastierende Linsen: Die eine ist wild und stürmisch, die andere düster und ätherisch.
Teil I («Knochengesänge») ist unverkennbar das Waldgeflüster, das wir kennen: epischer, melodischer Black Metal, verwurzelt in Natur und Melancholie. Songs wie «Krähenpsalme» (mit Austin Lunn von Panopticon) und «Lethe – Der Fluch des Schaffenden» kanalisieren die rohe Schönheit der Isolation, getragen von schreienden Gitarrenklängen und Winterherz' heiseren, herzlichen Schreien. Die Produktion ist monumental und manchmal überwältigend. Doch hinter den Klangwänden verbirgt sich eine fast heilige Intimität.
Teil II («Knochengesänge II») öffnet jedoch ein anderes Tor: Ohne harte Vocals, grösstenteils auf Englisch gesungen und von ruhiger Verzweiflung durchdrungen. Hier treiben «The Little King and His Architect» und «In Lethes Fluten» wie ein Requiem über neblige Flüsse. Es ist Waldgeflüsters bisher zerbrechlichstes und menschlichstes Werk: düster, akustisch und kontemplativ, aber dennoch unverkennbar mit dem Boden der bayerischen Wälder verbunden.
Beide Alben hintereinander zu hören, fühlt sich an, als würde man zweimal durch dieselbe Landschaft wandern - zuerst bei Tageslicht, dann noch einmal unter einem traurigen Mond. Das erste brennt, das zweite blutet. Zusammen offenbaren sie die duale Natur von Winterherzs Kunst: wild und doch poetisch, irdisch und doch spirituell.
Ich habe Waldgeflüster zweimal live gesehen – beide Male war ich im Anschluss wie benommen. Ihre Präsenz ist absolut authentisch, und die Art und Weise, wie Winterherz die wilde Melancholie seiner Heimat in etwas Universelles verwandelt, ist beeindruckend. Nur wenigen Bands gelingt es, so lebendig zu klingen, während sie vom Tod und Vergängnis sprechen.
«Knochengesänge I & II» erscheint als ein Ritual, ein Dialog zwischen zwei Welten, zwischen Leben und dem, was dahinterliegt. Im Echo des abschliessenden «Parting Glass» kann man erneut die Ents durch den Nebel rufen hören, die immer noch nach ihren längst verlorenen Entfrauen singend suchen. Und ja ich habe beim Schreiben voller stolz das T-shirt von Waldgefüster an, welches ich mir am Konzert in Luzern gekauft habe.
Lukas R.