Die Weichen zum Erfolg waren für China eigentlich richtig eingestellt. Als die Schweizer Ende der Achtziger Jahre mit ihrem Debüt und speziell mit «Sign In The Sky» die Fans zu begeistern vermochten, dachte niemand daran, dass dem ganzen Unterfangen bald ein mächtiger Knüppel zwischen die schnell drehenden Stahlspeichen geschmissen würde, welcher die Jungs um Gitarrist Claudio Matteo kurzerhand aushebelte. Das lag einerseits daran, dass sie (Zitat) mit ihrem Sängerverschleiss sicherlich im Buch der Rekorde auftauchen und andererseits an der Grunge- Welle, welche den Hard Rock mit seinen eingängigen Melodien zu Grabe trug, scheiterten.
Heute haben sich die Jungs wieder gefunden. Neben Claudio spielen Gitarrist Freddy Scherer (Gotthard), Bassist Marc Lynn (Gotthard), Schlagzeuger Ralph Tosoni und Ur-Sänger Werner Hartmeier mit. Ab und zu gesellen sich auch alte Kameraden dazu, wie im OldCapitol in Langenthal, als Bassist Beat Kofmehl und Sänger Patrik Mason als Gäste auf der Bühne standen. Vor diesem Konzert hatte ich das Vergnügen, mit Vierfünfteln der «The Sign In The Sky» Besetzung über das Hier und Gestern zu plaudern.
MF: Wer hatte die Idee, wieder als China an den Start zu gehen?
Freddy: Gotthard konnten durch Corona nicht mehr auftreten. So kamen Claudio und ich 2019 wieder in Kontakt. Wir fragten uns, ob nicht die Möglichkeit bestand, einen neuen Song zu schreiben. Zu der Zeit konntest du nichts anderes machen, da alles den Bach runterging.
Claudio: Das hat echt gepasst mit «Love Someone».
Freddy: Der Song war richtig geil und wir wollten ihn unbedingt den Fans zeigen.
Claudio: Gotthard sind ein dermassen grosses Gebilde, da wussten wir, es würde eine Zeit dauern, bis bei ihnen wieder was zum Laufen kommt. So haben wir auf die Schnelle ein paar kleine Gigs organisiert. Auch um zu sehen, ob die Fans uns überhaupt noch sehen wollen. Zusammen haben wir noch immer Spass auf der Bühne. So kamen China langsam wieder ins Rollen (grinst).
MF: Was ist im Vergleich zu früher anders, wenn ihr heute mit China auf die Bühne geht?
Freddy: Es klingt wie früher, das kann man an all den Videos festmachen, die nach den Konzerten sofort im Netz kursieren.
Claudio: Wir machen nichts anderes. Okay, wir spielen mit aktuelleren Sounds auf den Gitarren (grinst). Ansonsten sind es noch immer die gleichen Gitarren und Amps, wie wir sie früher benutzt haben (lacht). Wir wollen nichts Neues erfinden.
Freddy: Die Leute wollen die Songs von damals, aus den Achtzigern, offenbar noch immer hören. Darum werden wir diese Tracks auch nicht in ein neues Gewand packen oder sie umarrangieren. Diese Tracks sind für die Fans Nostalgie und erinnert sie an ihre Jugend …
Claudio: …genau!
Freddy: Wenn ich mir AC/DC anhöre, will ich die Lieder auch nicht in einer Double-Bass-Drum- Version vorgesetzt bekommen (lacht). Sondern original, sonst bin ich enttäuscht. Das ist bei unseren Fans das Gleiche.
"...Ich denke, wir waren zu jung um zu verstehen, dass wir Geld verdienen mussten...*
MF: Steht der Spass heute mehr im Zentrum als früher, als ihr mit der Musik Geld verdienen musstet?
Freddy: Ich denke, wir waren zu jung um zu verstehen, dass wir Geld verdienen mussten. Damals war alles Genuss pur (grinst). Es war die beste Zeit des Lebens oder besser gesagt, die unbeschwerteste. Wir mussten nicht, alles funktionierte…
Claudio: …zu Beginn, ab dem zweiten oder dritten Album kam Druck von anderer Seite auf. Heute kommt alles aus dem Bauch, wir haben Freude und sind in erster Linie gute Freunde. Darum funktioniert alles so gut. Es ist kein Muss, sondern der Spass macht es aus.
Freddy: Trotzdem ist es uns wichtig, dass alles gut klingt. Da sind wir zu perfektionistisch, dass wir alles richtig machen wollen.
MF: Beat, war es für dich nie ein Thema, wieder bei China einzusteigen?
Beat: Ich hatte das Vergnügen im letzten Jahr mit ihnen drei Shows spielen zu dürfen. Das war ein richtiges Happening und heute freue ich mich umso mehr. Es ist kein Thema, weil Marc spielt, er ist ein Original-Member.
MF: Wie fühlt es sich für dich an Patrik?
Patrik (lachend): Es fühlt sich super an und besser, als ich es mir vorgestellt habe. Gestern Abend hatten wir unser erstes Konzert zusammen. Natürlich ist nie alles perfekt, wenn du auf der Bühne stehst. Aber! Die Leute wollen noch immer China hören. Ich habe das Publikum animiert. Sie waren so heiss, wie es früher an der Tagesordnung war. Das ist richtig genial (grinst zufrieden)!
MF: Du hast "perfekt" erwähnt, muss denn eine Rock-Band perfekt sein oder lebt sie nicht gerade erst recht durch diese kleinen Missgeschicke und Emotionen?
Patrik: Wir besassen immer Emotionen mit China. Früher spielte ich in vielen verschiedenen Bands. Wir sind eine emotionale Truppe, weil wir richtige Freunde sind und haben noch immer Bock, zusammen auf die Bühne zu gehen. Das letzte Konzert, das ich mit den Jungs spielte, ist jetzt zehn Jahre her! Aber als ich für diese beiden Auftritte angefragt wurde, war für mich sofort klar, dass ich das machen will.
Freddy: Spielst du die alten Songs wieder, kommen auch bei uns die Emotionen hoch. Abgesehen davon, dass wir sowieso gerne Musik spielen, hat der China Stil uns geprägt. Wir waren und sind noch immer Fans von dieser Musik. Dieser Achtziger Jahre Sound, gemischt mit den Siebzigern. Das sind unsere Wurzeln. Gute Lieder werden nie langweilig. Das klingt billig, aber es ist eine Tatsache. Wenn wir zusammen «Dead Lights», «Shout It Out», «Rock City» oder «In The Middle Of The Night» spielen, wenn auch tausend Mal gehört, werden diese Tracks vor und mit dem Publikum nie langweilig.
Claudio: Speziell, wenn man sieht, wie die Leute mitgehen. Gestern kam ein Fan nach der Show zu mir und sagte: "Als ich gestern «Rock City» hörte, bekam ich ein grosses Hühnerfell!" Da kommen bei mir wieder Emotionen hoch, bei denen ich denke: "Wow und das wegen einer alten Nummer von uns" (lacht). Solange wir diese Tracks noch auf der Bühne spielen können, ist das für uns der grösste Antrieb.
Beat: Beides geht Hand in Hand. Es braucht Perfektionismus, aber auch Emotionen. Die Perfektion bringt auch immer ein bisschen Chaos mit. Genau dies ist das Salz in der Suppe. Diesen Moment zu zelebrieren. Es ist dieses Handwerk, die Zuneigung, die Liebe und das Herzblut zur Musik. Du stehst nie allein auf der Bühne, und dieses Paket macht zusammen die grossen Emotionen aus.
"...Es hat mir die Sprache verschlagen und ich konnte fast nicht mehr weitersingen, so hat mich das berührt..."
Patrik: Gestern Abend spielten wir unsere Ballade «So Long». Wir haben den Song zusammen geübt und wollten die Leute zum Mitsingen animieren. Wir stoppten inmitten des Tracks und alle haben laut weitergesungen. Es hat mir die Sprache verschlagen und ich konnte fast nicht mehr weitersingen, so hat mich das berührt (lacht).
Claudio: Wir hatten schon Angst, dass es ruhig bleibt und keiner im Publikum singt (lacht). Was zum Geier machen wir, wenn das passiert (alle lachen)?!
Patrik: Das gehört auch zum Thema Emotionen.
MF: Bei all diesen Emotionen, mit den beiden sehr guten, neuen Songs («Ran Out Of Love» und «Love Someone»), die super beim Publikum ankommen, kommt nicht auch der Wunsch auf, nochmals eine neue Scheibe zu veröffentlichen?
Patrik: Ich hätte nichts dagegen, mit den Jungs nochmals ein Album aufzunehmen (grinst, während die anderen lachen). Ich komponiere noch immer neue Musik, auch wenn es eine andere Art ist. Ich bin da, meine Stimme ist noch ordentlich. Mit den Jungs auf jeden Fall. Es ist nicht nur Musik die wir spielen, sondern es passiert noch etwas anderes.
Claudio: Wir haben diesbezüglich keinen Stress und arbeiten aus dem Bauch heraus. Dabei entstehen immer wieder neue Ideen und Lieder. Im Moment werden wir nur einzelne Songs veröffentlichen. Es kann sein, dass bei einem Fundus an zehn Liedern ein Album folgt. Unser Ziel ist es aber nicht. Vielleicht ergibt sich eines. Eine neue Scheibe wäre sicher cool, aber am Ende sind es gleichwohl nur zwei Tracks, die einen Platz im Live-Set finden. Also, warum sollen wir dann ein komplett neues Werk komponieren? Mit diesen Einzel-Songs generieren wir fast den gleichen Effekt wie mit einem ganzen Album.
Freddy: So stechen die neuen Lieder auch mehr heraus. Wir schreiben immer und haben aktuell einen Katalog mit über zehn neuen Ideen. Wir wollen das Beste vom Besten verarbeiten und veröffentlichen im Halbjahres-Rhythmus einen neuen Track. So kriegt das Ganze einen Single- Charakter. Wir müssen die alten Songs spielen und können nicht von heute auf morgen sechs neue in das Set integrieren. Die Leute wollen unsere alten Lieder hören, und wenn sich da eine neue Nummer als passend einschieben lässt, dann ist allen geholfen.
MF: Hand aufs Herz, möchte man mit China nochmals richtig angreifen, da es aktuell wieder zu laufen beginnt?
Claudio: Wir müssen auch auf Gotthard Rücksicht nehmen. Was möglich ist, machen wir sehr gerne und werden auch immer wieder unsere Gäste auf die Bühne einladen.
Freddy: Alles passiert auf eine natürliche Art und Weise.
Claudio: Step by step. Es sind nicht mehr die gleichen Konditionen wie früher. Alle wissen, dass uns Musikern die Downloads und Streaming-Plattformen das Leben nicht einfacher machen. Als wir damals zusammen «Sign In The Sky» aufgenommen haben, standen wir ein paar Monate zusammen im Studio. Die Zeit haben wir heute nicht mehr und auch das Geld nicht (grinst).
"...Als Band waren wir immer eine Einheit..."
MF: Die Achtziger waren fett und «In The Middle Of The Night» ein Hit. Verlor man damals den Boden unter den Füssen?
Freddy: Wir hatten nur zwei Probleme (grinst), aber das eine war mit dem anderen verknüpft. Wir hatten einfach viel zu viele Sängerwechsel. So kann sich der Fan nicht mit der Band identifizieren. Nach dem zweiten oder dritten Shouter verlierst du die Orientierung. Du liebst ein Album und die Stimme dazu und beim nächsten steht wieder ein anderer Sänger am Mikrofon. Super, ist auch geil, aber ist auf dem dritten Werk schon wieder ein anderer zu hören. Ist auch okay, aber eigentlich will ich lieber die Stimme vom ersten oder zweiten Album. Das ist alles zum Scheitern verurteilt. Der grösste Punkt war jedoch unser Management. Speziell wegen dem passierten diese Wechsel. Die Band blieb immer zusammen. Es ging nur um die Sänger. Diese beide Komponenten psychologisch zu verknüpfen, das wäre ihr Part gewesen. Mit den Jungs sprechen und diese Abflüge im Kern zu ersticken. Wenn der Sänger an eine Solo-Karriere dachte, mit "nein" zu antworten, da es hier um die Band geht. Das ist leider nie passiert, sprich das Management schaute immer nur für sich und nahm diese wichtige Aufgabe nicht wahr.
Claudio: Im Moment merkst du nicht, dass dieses Sänger-Karussell uns als Band das Genick bricht. Wenn ein Neuer am Mikrofon steht, bist du froh und aufgeregt mit einem frischen Shouter weiterzumachen. Man ist Feuer und Flamme und merkt erst Jahre später, was das verursachte. Als Band waren wir immer eine Einheit, aber die Sängerwechsel haben uns gekillt.
Beat: Es war eine interessante Zeit. Leider übernahm das Management damals nicht die Führung, um die Band langfristig zu stabilisieren und zu etablieren. Vier oder fünf Platten, immer mit einem anderen Sänger. In diesem Kontext sind wir auf Platz eins im Guinness-Buch der Rekorde (alle lachen). Heute Abend treten China auf, in welcher Formation auch immer, aber es sind noch alle dabei. Auch das ist nicht selbstverständlich. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass wir immer wieder den Mut hatten, mit einem neuen Sänger etwas Neues zu kreieren. Das war auch nicht ohne, und da sind wir ein kleines Unikum.
Claudio: Darum können wir heute auch plötzlich mit drei Sängern auf der Bühne stehen. Das ist die Geschichte von China. Vor zehn Jahren spielten wir unsere "History-Tour", da waren alle mit von der Partie (lacht). Das war ein grosses Projekt, es war geil und die Leute hatten, wie wir auch, ganz viel Spass dabei.
MF: Wie war es für dich Patrik, du warst bei China und vorher bei Krokus. Hattest du einen Höhenflug oder warst du immer mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen?
Patrik: Bis auf ein oder zwei Monate, als ich in Amerika auf Tour war, es war schon ein "Wow-Effekt" (grinst). Dank meiner Familie hatte ich immer den richtigen Gegenpool, nicht abzuheben. Als Profi-Musiker hatte ich dank meiner Kinder immer wieder genug Erdung. Gott sei Dank, bin ich normal geblieben (lacht).
"...Noch heute sagt der Besitzer, dass China seine Karriere geprägt haben...*
MF: Claudio kennt die Frage, hatten ihr jemals das Gefühl Rockstars zu sein oder wurdet ihr von aussen zu dem gemacht?
Beat: Es ist eine Bezeichnung, die von den Medien oder ausserhalb kommt. Als Musiker leben zu können, ist eine sehr grosse Herausforderung. Man startet keine Musiker-Karriere oder mit einer Band, um Rockstar zu werden. Musiker und lange in einer Band aktiv zu sein, ist ein grosses Glück. Bin ich nun ein Rockstar? Ich schlafe diesbezüglich nicht besser und auch nicht schlechter (lacht). Aber ein guter Musiker zu sein, das berührt einem und macht das Leben lebenswerter.
Freddy: Es passierte automatisch. Wir kommen aus Winterthur. Das frappanteste Erlebnis war, dass wir immer unser Haus-Restaurant hatten. Irgendwann gab es einen richtig geilen Club inmitten der Altstadt von Winterthur, der einem Freund von uns gehörte. Eine cooler Laden, der zu Beginn immer leer war. Wir wollten bei ihm eins trinken gehen. Schnell sprach sich dies herum, dass China sich dort treffen, und einen Monat später waren jeweils über 700 Leute dort und haben auf uns gewartet! Noch heute sagt der Besitzer, dass China seine Karriere geprägt haben, speziell finanziell (alle lachen).
Claudio: Ja, du hast mich dies schon mal gefragt. Rockstars sind Musiker, die nicht mehr leben (lacht). Deine Frage ging mir noch lange nach unserem Online-Phone durch den Kopf (lacht). Ich hatte echt keine Ahnung, wie ich die beantworten soll (grinst). Klar, Marc Storace (Sänger von Krokus) ist ein Rockstar. Trotzdem bleibt für mich das Fragezeichen, was ist denn ein Rockstar?
Patrik: Die Leute wollen klassifizieren und schubladisieren. Der ist so und der so, darum ist er der Lehrer, der andere Polizist oder dieser eben der Rockstar. Sollte ich in dieser Kategorie mit dabei sein, habe ich nicht sehr viel dazu beigetragen, dass ich da reingehöre.