Ihr elftes Studioalbum «Every Rock, Every Half-Truth Under Reason» markiert die Wiedervereinigung der Originalbesetzung, um das 20-jährige Jubiläum von «Choirs of the Eye» zu feiern – doch dies ist kein nostalgischer Triumphzug. Driver nennt es stattdessen ‘liminalen Metal’: Musik, die auf der Schwelle balanciert, heimgesucht von Erinnerungen, vom Verfall der Kultur und vom drohenden Schatten der KI-gesteuerten Kunst. Mikrotonale Gitarren, speziell angefertigte Orgeln, Streicher, Holzblasinstrumente und Drivers gespenstische Stimme verweben sich.
Dies gereicht zu etwas, das weniger wie eine Platte, als vielmehr wie der Soundtrack zu einem Fiebertraum wirkt. Aber ist es überhaupt Musik? Oder ist es etwas ganz anderes? Ist es der Soundtrack zu einem unsichtbaren Horrorfilm? Ist es eindringliche Fahrstuhl-Musik für einen verwunschenen Wolkenkratzer? Oder ist sie nur dafür gedacht, gehört zu werden, nachdem man die falschen Pilze verschluckt hat? Was auch immer es ist, eines ist sicher: Dies ist keine Musik für schwache Nerven. Nähere dich mit Vorsicht, besonders, wenn Eure Psyche schon angeschlagen ist.
Wenn der Track «Blind Creature of Slime» erklingt, könnte man fast meinen, Kayo Dot würden sich auf einen konventionellen Song einlassen. Doch gerade, wenn man sich zurechtzufinden beginnt, endet die Platte und lässt einen in der von ihr geschaffenen Leere zurück. «Every Rock, Every Half-Truth Under Reason» ist für alle, die das Beunruhigende, Unheimliche und Unklassifizierbare lieben, vielleicht das eindringlichste und fremdartigste Werk von Kayo Dot. Auf Spotify haben sie immerhin 11'000 monatliche Zuhörer, also muss es Menschen geben, die sich auf so ein Werk einlassen.
Lukas R.