Bereits 51 Jahre haben die Jungs von Krokus auf den Schultern, die von grossem Erfolg, Rekorden, Streitereien, mafiösen Methoden, hitzigen Egos und Versöhnung geprägt sind. Nach fünf Jahrzehnten brauchen Interview-Partner Chris von Rohr (Bass) sowie Fernando von Arb (Gitarre), Marc Storace (Gesang), Mark Kohler (Gitarre), Mandy Meyer (Gitarre) und Flavio Mezzodi (Drums) längst niemandem mehr etwas zu beweisen. Schon gar nicht, wenn die eigene Karriere mit Platin und Gold-Auszeichnungen in den Staaten verewigt wurde. Im Hier und Jetzt weiss Chris, dass er zusammen mit Krokus sämtliche Höhen und Tiefen erlebte. Trotzdem entfacht der Gründer, Bassist und Produzent beim Gespräch noch immer ein loderndes Feuer für die Musik und für Krokus.
Chris: Es ist geil, wenn man sich die Zeitaufnahmen anschaut. Was heute im digitalen Zeitalter an den Computern alles gemacht wird und wie wir damals mit sehr bescheidenen Mitteln losgezogen sind und nach Möglichkeit suchten die Welt zu erobern. Wir haben unsere Plakate bei Minus-Temperaturen selbst an die Säulen geklebt und ab und zu dem Pop Rocky (damalige Musikzeitschrift) persönlich einen Blumenstrauss vorbeigebracht, damit zumindest eine Zeile von uns irgendwo zu lesen war. Dieser Zeitabschnitt einer Band finde ich den interessantesten, etwas mitzuerleben bevor es explodiert. Dieser Hunger und diese Unsicherheit. Das ist spannender als die Erfolgs-Story selbst, die dir dann um die Ohren fliegt und vieles kaputt macht. Was war, bevor wir nur schon den Erfolg in der Schweiz feiern konnten? Wir machten Rock aus Notwehr, da es in diesem Jammertal mit all den Blockflöten-Gesichtern und nach unten gerichteten Daumen für uns keinen anderen Ausweg gab. Als ich mit Fernando zusammenkam, gab es für uns nur eine Richtung. Keinen Plan B. Alles auf eine Karte setzen. Jetzt muss es abgehen, und zwar vereinfacht mit gradlinigem Power Rock. Die erste Krokus Scheibe war noch Prog Rock, das war okay, war Kopfmusik, aber nicht sexy. Erst ab «To You All» gings dann langsam los in die richtige Richtung.
MF: Ein halbes Jahrhundert Krokus, was geht dir dazu sonst noch alles durch den Kopf?
Chris: Die grösste Überraschung und zugleich die grösste Freude ist, dass wir nach diesem riesengrossen Erfolg, den wir in Amerika feierten und keine andere Band aus der Schweiz so erlebte, mit den ganzen Radio-Einsätzen, Gold- und Platin-Auszeichnungen und den darauffolgenden Streitereien, wir uns 2008 in der Original-Besetzung aufrafften und bis heute fast die gleichen Leute noch immer die Bühnen rocken. Mit Flavio haben wir genau den Trommler, den wir uns immer wünschten. Ein Kernkraftwerk, das unsere Ärsche an den Bühnenrand peitscht. Bis heute stehen Fernando, Marc, Mandy, Mark und ich, also dieselben Leute, welche die Achtziger rockten, noch immer zusammen auf der Bühne.
Es ist der pure Wahnsinn wie die Zeit vergeht, aber seit zwölf Jahren haben wir keine Veränderung mehr im Bandgefüge gehabt. Krokus geht es besser, denn je und wir geniessen jedes Konzert, als wäre es unser letztes, mit einem fetten Smile im Gesicht. Das dies alles möglich war, nach dem ganzen Theater, diese Abgehobenheit, den Streit, die Ego-Games, die Feindschaften und das Missmanagement ist die grösste Errungenschaft, das grösste Wunder der kompletten Laufbahn von Krokus. Neben all den vielen Highlights ist es heute sogar ein Höhepunkt, wenn wir im Keller zusammenspielen. Diese Musik zusammen zu machen, das kann mit nichts verglichen werden. Wenn diese Truppe heute abdrückt, ist das keine Altherren-Band, die mühsam ihre Songs spielt. Nein, da gehts ab, jeder ist happy und mit vollem Herzen dabei. Mehr kann man sich nicht wünschen!
MF: Was waren für dich die Eckpfeiler des Erfolges?
Chris: Das ist wie im Fussball. Du musst das richtige Team zusammen haben, bei dem jeder in der Band seinen Platz kennt und innehat. Da, wo er dieser Mannschaft am besten helfen kann. Das ist ein Team, kein Solo-Projekt. Die Leute wollen eine echte Band sehen. Als diese funktionierst du nur und das checkten wir erst in der zweiten Runde, wenn jeder an seinem Platz perfekt eingesetzt wird und das Vertrauen für den Bandleader da ist. In diesem Fall bin ich das. Von Beginn weg habe ich den anderen beim Comeback gesagt: "Hört zu Freunde, wir segeln nach meinem Kurs, bei dem ich auch die Verantwortung übernehme, wenn es floppt!". Fernando und ich sind eine verschmolzenere Einheit als früher. Marc vertraut uns und ist auch gewachsen. Man nennt uns intern die drei Musketiere (lacht).
Jeder lernte aus seinen Fehlern und kennt heute seinen Platz in diesem Team. Darum funktioniert es. Als Kirsche auf der Torte braucht es noch ein gutes Management. Ich bin für das Produkt und das Marketing zuständig, aber nicht der Manager. Mit Bottom Row haben wir die passenden Leute gefunden die checken, was für die Band richtig und wichtig ist. Sie geben uns dieses Vertrauen, dass man sich als Musiker nicht ausgebeutet fühlt und es nicht wieder ausartet. "Business man, they drink my wine" sang Jimi Hendrix bei «All Along The Watchtower». Die grossen Streitereien entstanden bei uns nur, weil man uns nie eine Pause gönnte und ausbeutete. Ab dem Moment, als «Metal Rendez-Vous» ans Tageslicht kam, gab es nur Studio, Tour, Studio, Tour, bis zum Kollabieren!
Wir standen nicht, wie andere Schweizer Bands, nur am Wochenende auf der Bühne. Sondern Tag für Tag und spielten jahrelang quer durch Amerika. Wir rafften dies zu spät, weil uns die Kraft fehlte und wir uns gegen ein halbkriminelles Management und absurde Verträge nicht mehr wehren konnten. Andere Truppen erlebten dies auch. Wir waren sehr naiv und verloren unsere Homebase. In solchen Dimensionen Business zu machen, waren wir nicht gewöhnt. Das Rocken war kein Problem, aber die anderen Money-Geier höhlten uns aus. Die Basis hätte in der Schweiz bleiben sollen. Dies ohne amerikanische Blutsauger, die uns den Marsch bliesen, wie es in Amerika und der ganzen Welt zu laufen hat.
"...Fernando und ich wurden bewusst auseinanderdividiert..."
Wir erlebten eine böse und heftige Lernstunde mit Butch Stone. Abgesehen von Millionen von Dollars die wir verloren, mündete alles in Streit und Intrigen, welche Krokus auseinanderbrechen liessen. Die beiden Hauptmembers, welche die Richtung und der kreative Hotspot waren. Fernando und ich wurden bewusst auseinanderdividiert, während man Marc eingetrichtert hat, dass es nur um den Sänger geht und die Band bloss Beigemüse sei. Da passierten echt mafiöse Dinge, inklusive Todesdrohungen, no Joke, und wir können froh sein, dass wir dies überlebten. Das war der Lehrplatz der an keiner Schule gelehrt wird, schon gar nicht in der Schweiz.
MF: All die Dinge, die in kurzer Zeit passierten, konntest du das damals verarbeiten?
Chris: Alles Schlechte hat auch etwas Gutes und jeder Rückschlag hat Potenzial. Als ich die Truppe 1983 verlassen musste, brach für mich eine Welt zusammen, weil ich mein Baby verlor. Ich war Gründer von Krokus! Das war für mich die grösste Katastrophe. Dann der Absturz dieser Band von aussen verfolgen zu müssen ohne eingreifen zu können, war schon hart. Stil-Änderung, falsche Entscheide, Fan-Verlust, das waren schon krasse Jahre.
Aber mein Credo war: Du darfst auf die Schnauze fallen, aber du musst auch wieder aufstehen! Ich wusste, nach dem Lecken der Wunden, auf was ich mich verlassen konnte: Meinen Instinkt. Mir wurde klar, dass ich zeigen musste, was ich auch allein und woanders reissen kann. Ich kam mit dem Buch «Hunde wollt ihr ewig rocken» ums Eck. Das wurde sofort, auch in Deutschland zum Kult-Hit, weil es sowas damals noch nicht gab. Ehrlich, frech und dreckig. Lange bevor «The Dirt» (von Mötley Crüe) und andere Biografien die Leute begeisterten. Das war für mich persönlich ein Volltreffer. Ein Abarbeiten und Bewusstmachen, was ablief. Musikalisch startete ich dann zehn Jahre lang mit Gotthard durch. Von null auf hundert zu Steve Lee Zeiten. Da lernte ich viel dazu, als Komponist und Produzent. Es war eine gute, fruchtvolle Zusammenarbeit.
"...Was ich mit diesen Jungs erarbeitet habe, darauf bin ich heute noch stolz..."
Während diesen Jahrzehnt überholten Gotthard Krokus in der Schweiz und Deutschland. Was ich mit diesen Jungs erarbeitet habe, darauf bin ich heute noch stolz. Aus diesem Grund gehen Krokus und Gotthard wieder zusammen als «MONSTERS OF SWISS ROCK» auf Tour. All das wäre nicht möglich gewesen, hätte es nicht diese Trennung gegeben. Ab und zu erinnere ich mich zurück und denke: "Holy shit, hat es all dies wirklich gebraucht?" Ich wollte dies nicht, aber ich wurde dazu gezwungen (lacht). Heute bin froh, dass alles so kam, wie es gekommen ist. Aufgeben kam nicht in Frage. Ich war und bin ein wesentlicher Bestandteil bei den zwei erfolgreichsten Schweizer Bands und habe als einziger Schweizer Musiker ein Nummer Eins Sachbuch mit «Himmel Hölle Rock'n'Roll» geschafft. Also kein Grund traurig zu sein. Einfach nicht aufgeben und abliefern.
MF: Wo liegt deine Stärke und woher nimmst du sie?
Chris: Ich denke mein grösstes Talent, neben dem Schreiben, ist zu fühlen was wirklich zusammenpasst, eine Band zu führen und ab und zu eine gute Song-Idee beizutragen. Mit Fernando oder früher mit Steve und Leo kam da einiges Gutes ans Tageslicht. Schon crazy: Ich begann als Groove-Drummer. Als aber alles härter wurde, wusste ich, dass dies nicht mehr meiner Spielweise entsprach. Danach wurde ich Sänger und wechselte mich selbst aus als ich merkte, dass unser Power Hard Rock eine Stimme benötigte, die eine Oktave höher shouten kann. So landete ich beim Bass und Produzieren. Ich probierte einfach das Optimale aus meinen Möglichkeiten herauszuholen und blieb flexibel, wenn es der Band diente. Das sollte jedem jungen Musiker Mut machen. Man muss nur dranbleiben und das tun, was einem wirklich Spass macht. Ist natürlich auch eine Instinktfrage zu spüren wohin man gehört in einem bestimmten Moment im Leben.
MF: Die Erfolge geben dir recht…
Chris: …man muss einfach das Feuer und die Freude bewahren. Dann kommt alles gut. Ausruhen kann man dann später (lacht).
MF: Nochmals zurück. Musste man in den Achtzigern einfach diesen Business-Dreck fressen? Oder hättest du das Ruder herumreissen können?
Chris: Hast du das Rezept für die Toblerone oder eine Pizza entwickelt, mit dem du erfolgreich bist, dann änderst du dies auf gar keinen Fall! Ich war damals wie heute vor allem auf der kreativen und Marketingseite tätig. Ich hatte eine klare Sichtweise, sprich wäre ich bei Krokus geblieben, hätte das Management und die Plattenfirma keine Chance gehabt mit diesem Pseudo-Kommerz-Sound und nach «Headhunter» mit einem Albumcover wie zu «The Blitz». Wenn nach dem Totenkopf eine Frau mit einem Röckchen im neogotischen Umfeld kommt, wäre meine Reaktion gewesen: "Freunde, überlegt ihr bitte kurz einmal, was unsere Fans wollen?" Da muss man dagegen kämpfen. Das war schon früher so, aber ohne mich waren heavy Kräfte am Werk, gegen die sich Fernando und Marc nicht mehr wehren konnten. Diese nervige und lästige Arbeit war mein Job.
Die Industrie wollte sich an den Erfolg von Def Leppard anhängen. "Take the edge out of the singer voice" und solche Sprüche. Kommerz hielten bei Krokus Einzug. Da begriffen einige Schreibtisch-Täter etwas nicht: Wenn man einen Brand, einen Sound hat und das war und ist bei uns dieser Dreckrock, dann bleibst du verdammt nochmal auch dabei.
MF: Welches war das wichtigere Album für den Erfolg von Krokus? «One Vice At A Time» oder «Headhunter»?
Chris: «One Vice At A Time» war der erste Durchbruch für uns in Amerika, speziell wegen «Long Stick Goes Boom». Die Presse schrieb damals: "The best song AC/DC never wrote". Ohne Ballade war es ein knallhartes Werk. Aber wenn ich mir in Erinnerung rufe, was wir live spielen, dann ist es eine Mehrheit aus «Metal Rendez-Vous», welches in der Schweiz das populärste Album war und «Headhunter», das in Amerika gross war. Mit «Screaming In The Night», «Eat The Rich» und «Stayed Awake All Night». Es war ein Schritt nach dem anderen, der unaufhörlich auf diesen Höhepunkt mit «Headhunter» zuging.
Darum wurde diese Platte auch in Amerika zum wichtigsten Album. Schaut man auf die Streamings, liegt «Screaming In The Night» weit im Voraus und dann folgt, du wirst es nicht glauben und nicht wissen (lacht), unsere Version von «Born To Be Wild»! Zu der Gitarristen auf YouTube anmerken wie unser Riff zu dem Klassiker zu spielen ist. Crazy. Auch wenn «One Vice At A Time» viele Dinge besitzt, die megageil sind, haben wir mit «Headhunter», wie früher bei «Metal Rendez-Vous», unseren eigenen Stil und die wichtigen Songs gefunden. Wenn wir mit «Headhunter» eine Show starten, staunen die Leute und sagen: "Fuck, ist das ein geiler Drive und Song!"
MF: Das Drehbuch des Erfolgs war in den Staaten ein völlig anderes als in der Schweiz. Wie schwer war es jeweils, die Hauptrolle in einem anderen Land und anderen Konzert-Locations zu spielen?
Chris: Spielen wir auf den grössten Festivals wie dem "Graspop Metalfest" oder "Wacken" in Europa, oder grossen Festivals in Amerika, ist das die eine Sache. Für einen Musiker ist es oft geiler, wenn das Ganze kleiner ist. Für den Sound und den Kontakt zu den Leuten. Du hast nicht unzählige Absperrgitter bis hin zum Publikum. Sei es das Volkshaus in Zürich, das Z7 in Pratteln oder das Kofmehl in Solothurn! Darum haben wir das Live-Album «Live From The House Of Rust» hier aufgenommen, das unsere Stimmung noch besser rüberbringt als zum Beispiel «Adios Amigos – Live in Wacken», das aber sicher visuell der Hammer ist. Auf YouTube hat das über eine halbe Million Views. Das Album war Nummer 1 in den Charts und dies als Live-Album!
MF: Wie unterscheidet sich das Publikum?
Chris: Natürlich haben Amerika und Deutschland das enthusiastischere Publikum. Spielst du im Ruhrpott, dann hast du ein anderes Feeling als in der Schweiz. Das ist pures, emotionelles "ass kicking". Tritts du vor der gelben Wand in Dortmund auf, dann ist das klar ein anderes Feedback als in Bern (lacht). Das ist aber ok. Jedem Land sein Publikum. Wir spielen überall gerne.
MF: Wie ist wichtig auf der Bühne für euch?
Chris: Dass du happy von der Bühne gehst, und das verstehen viele Leute nicht, hat damit zu tun, wie der Sound auf der Bühne war. Wir sind keine "In Ear Dudes", ausser unserem Sänger, sondern eine Band, die wirklich laut auf der Bühne abdrückt. Je nach Bühnengrösse oder Beschaffung hörst du gewisse Dinge nicht mehr oder der Sound fliesst nicht optimal ineinander hinein. Bedeutet, alle zwei Meter klingt es anders. Das Monitor-System spielt eine extrem wichtige Rolle. Dass wir mit einem breiten Grinsen von der Bühne gehen, hat weniger mit dem Publikum zu tun, das ausrastet, sondern ob wir das Gefühl haben: "Leck mich am Arsch, hat diese Version von «Long Stock Goes Boom» wieder geil GETÖNT! Hast du gehört, wie das geknallt hat. Und dann erst «Headhunter», «Heatstrokes» und «Eat The Rich»!" Nach der Show sprechen wir selten über die Fans, sondern über die Musik und wie der Gig war. Natürlich ist es auch schön, wenn die Fans vom Sound mitgerissen werden und das zu erkennen geben. Wenn beides zusammen kommt ist das der perfekte Gig. Für das geben wir alles.