Wie die Zeit doch vergeht. Da sass man erst kürzlich mit Thom Blunier (Gitarre) zusammen und plauderte über ein Vierteljahrhundert Shakra, und schwupps, schon sind wieder fünf Jahre ins Land gezogen. Seit dem letzten Jubiläums-Talk hat sich beim Line-up nichts verändert. Sänger Mark Fox, Gitarrist Thomas Muster, Bassist Cyril Montavon und Schlagzeuger Roger Tanner sind noch immer an Bord, und die Jungs haben mit den beiden letzten Meisterwerken «Mad World» (2020) und «Invincible» (2023) nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht.
Was in diesen sechzig Monaten sonst noch passierte, wie der Gitarrist über die Teilnahme an der Vorausscheidung zum ESC denkt, welche Pläne es für die Jubiläums-Shows gibt und welche Erwartungen das neue Label Frontiers Music mit sich bringt, darüber philosophierten wir bei sommerlichen Temperaturen im schönen Emmental.
MF: Fünf Jahre später sitzen wir wieder hier und sprechen über 30 Jahre Shakra. Bist du überrascht, dass es drei Jahrzehnte geworden sind?
Thom: Das erste Mal, als wir uns zum Gespräch trafen, waren wir beide noch im Stimmbruch (grinst). Und ja, ich bin überrascht (grinst). Ich habe selbst nicht das Gefühl, dass es schon dreissig Jahre sind. Wenn man sich aber ins Gedächtnis ruft, was alles passiert ist, insbesondere mit der Kernbesetzung Muster, Tanner, Blunier, ist es eine sehr lange Zeit, die sich keiner von uns hätte erträumen lassen.
MF: Was ist das Fazit nach diesen drei Jahrzehnten?
Thom: Dass wir die Band besser nach zehn Jahren aufgelöst hätten (lacht laut). Ein richtiges Fazit besteht noch nicht. Die Geschichte ist ja noch nicht abgeschlossen, allenfalls ein Zwischen-Resümee ist möglich. Es war intensiver, als gedacht, die Band am Leben zu erhalten. Ich hätte nie erwartet, dass wir so lange rocken, aber es scheint tatsächlich möglich zu sein.
"...Die Pandemie hat in der Musikszene sehr viel durchgewirbelt..."
MF: Was ist in diesen fünf Jahren alles bei Shakra passiert?
Thom: Corona! Die Pandemie hat die Musikszene stark durcheinandergewirbelt, sei es bei Veranstaltern oder durch den Wechsel von physischen Produkten hin zu digitalen Medien. Corona hat da sehr viel verändert, ausser vielleicht in Grönland (grinst). Für Bands, die Kultur und die Veranstalter gab es einschneidende Veränderungen. Viele haben den Virus wirtschaftlich nicht überlebt und existieren nicht mehr. Ein vorheriges knappes Überleben wurde mit einem Genickschuss beendet. Bei uns kam 2020 Cyril neu dazu. Mit ihm kam ein frischer Wind in die Truppe und neue Perspektiven. Eine Denkweise von jüngeren Leuten, die einfach anders ticken. Ansonsten sind wir die gleichen Jungs geblieben, nur etwas älter. Und deswegen liegen heute mehr Haare auf dem Studio-Teppich als auf dem Kopf (lacht).
MF: Verändert ein neues Bandmitglied auch die Struktur einer Truppe?
Thom: Es gibt unterschiedliche Menschen. Solche, die einfach dabei sind und ihren Job im Hintergrund erledigen. Cyril ist ein anderer Typ. Er kommt aus dem Musikbusiness, hat in vielen Bands gespielt, in der Musikbranche gearbeitet und hatte unter anderem sein eigenes Label. Deshalb kann er zu allen Themen seine Meinung einbringen. Wenn Dinge in einer Band seit Beginn an immer gleich gehandhabt werden, hinterfragt man sie oft nicht mehr im Detail. Eine neue Denkweise kann deshalb sehr bereichernd sein, was aber nicht automatisch bedeutet, dass dadurch immer alles besser wird. Was mich überrascht, dass jüngere Musiker oft gleichzeitig in zehn verschiedenen Bands spielen. Hätten wir das als Shakra-Kern je gemacht, würde es die Band heute nicht mehr geben. Das ist meine These.
MF: Du hast die physischen Produkte angesprochen. Die verlieren in den letzten Jahren immer mehr an Wert, ebenso wie die Kunstform Musik. Wie fühlt sich das für Shakra an, wenn diese Kultur an Bedeutung verliert?
Thom: Eine Aussage, der man nicht mehr viel hinzufügen muss. Auf der ganzen Welt wird noch immer Musik gehört und konsumiert. Spannend ist, dass es viele Menschen gibt, die es fragwürdig finden, für Musik zu bezahlen. Das bedeutet, dass alle den billigsten Weg suchen, um an Musik zu gelangen. Irgendjemand hat in diesem Business wahrscheinlich einen grossen Fehler mit dieser Idee gemacht. Man zahlt noch immer Gebühren fürs Radio oder Fernsehen. Früher gab es einen einzigen TV-Sender, der Vater stieg aufs Dach, riskierte sein Leben, um die Antenne so gut wie möglich auszurichten, damit man das Fernseh-Programm halbwegs empfangen konnte.
Aber Musik soll nun plötzlich gratis sein? Das ist eine schwierige Ausgangslage, wenn niemand mehr bereit ist, für einen Song zu zahlen. Wird man in diese Zeit hineingeboren, kennt man nichts anderes. Für unsere Generation ist es schwierig, mit diesen neuen Gegebenheiten umzugehen. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Etwas daran zu ändern, dafür sind wir einfach zu klein. Da müssten schon Lady Gaga und ihresgleichen bei den grossen Firmen einen Wandel anstossen.
"...Es gab nicht nur Vorteile bei einem Major...."
MF: Ihr habt das Label gewechselt. Was darf man sich heute noch von einem Partner erhoffen oder erwarten?
Thom: Ich kenne diese "goldenen Zeiten" der Musikindustrie eigentlich nur noch aus Erzählungen. Die grossen Deals sind mir aus Dokus oder Biografien anderer Bands bekannt, wie es damals mit den Major-Labels war, die scheinbar unendlich viel Geld hatten. Ein bisschen davon haben wir am Rande miterlebt, als wir bei Sony unter Vertrag waren. Ich erinnere mich an eine Weihnachtsfeier, bei der die Geschenke ziemlich übertrieben waren (lacht). Aber selbst da war diese Zeit schon am Sterben. Viele Leute, die uns betreuten, waren bereits nicht mehr da. Man merkte deutlich, dass das Geld nicht mehr so locker sass wie früher. Und es war nicht alles vorteilhaft bei einem Major. Die Entscheidungswege waren extrem lang.
Verträge gingen nach Berlin, dort musste jemand mit dem richtigen Titel sein Okay geben, bevor sie dann irgendwann wieder in der Schweiz landeten. Schnell entschieden wurde da nichts. Das ist bei einem kleineren Label bedeutend einfacher. Dort hat man immer Enthusiasten. Das war so bei Point oder AFM, heisst Fans die ein Label gründeten, weil sie die Musik liebten und dafür lebten. Diese Leute haben die Szene gross gemacht, besonders in Deutschland. Fans, die die Musik selbst feierten und die Szene am Leben hielten. Jetzt sind wir bei einem italienischen Label. Meine Hoffnung ist, dass sie in eine ähnliche Richtung arbeiten. Frontiers Music ist kein unbekannter Name. Sie hatten Bands wie Whitesnake oder Def Leppard zeitweise unter Vertrag.
Was aber genau mit uns passieren wird, werden wir sehen. Ich hoffe, dass Frontiers uns einem Publikum vorstellen kann, das uns bisher noch nicht kannte. Wir sind sicher in den Köpfen unserer Fans präsent, aber ich bin überzeugt, dass es da draussen noch viele Hard Rock Fans gibt, die noch nie etwas von Shakra gehört haben. Mit neuen Leuten, die für uns arbeiten, neuen Kanälen und neuen Wegen, gibt es hoffentlich die Möglichkeit, das eine oder andere Türchen aufzustossen, und an Orten zu spielen, an denen wir noch nie waren. Oder von Leuten entdeckt zu werden, die sich einfach nur die Playlists dieses Labels anhören.
"...Wenn du auf Tour gehst, ist die Schweiz das Paradies..."
MF: Wie gross war der Wunsch, in England, Japan oder den USA zu spielen?
Thom: Damals, als wir mit HammerFall und Stratovarius auf Tour waren und auch in England spielen konnten, wurde mir bewusst, wie schwierig dieser Schritt selbst für solche angesagten Bands war. Oder wenn ich von Fernando von Arb höre, wie das in den frühen Achtzigern war, wurde mein Wunsch danach sehr schnell sehr klein. Wenn du auf Tour gehst, ist die Schweiz das Paradies. Wir haben die schönsten Clubs, das beste Catering und die besten Bühnen. In dieser Hinsicht sind wir extrem verwöhnt.
MF: Wann hast du gemerkt, dass es neben der Musik auch ein knallhartes Business gibt?
Thom: Am Anfang haben meine Frau Monika und ich sehr vieles im Alleingang gemacht. Bei Ruckus (der Vorgängerband von Shakra) haben wir alles selbst erledigt. Da musste erst mal ein Computer her, mit dem haben wir das Cover selbst gestaltet und jedes Tape eigenhändig zur Post gebracht. Ich arbeitete Teilzeit und rief nachmittags Veranstalter an, fragte nach Meinungen und ob wir irgendwo auftreten könnten. Ein riesiger Aufwand, nur um den Fuss ein bisschen in die Tür zu kriegen. Damals waren wir keine gute Band, aber wir spielten leidenschaftlich gern Musik. Wir waren ein wilder Haufen und haben im kleinsten Winkel des Lokals gerockt, auch wenn es keine Bühne gab. Wir haben die Musik zelebriert.
Und wenn wir irgendwo im Zürcher Oberland auftraten und der Koch sowie die Serviertochter unsere einzigen Zuschauer waren, dann haben wir morgens um drei Uhr mit Stolz das PA wieder in den Bus verstaut. Wenn wir es am Probelokal ausgeladen hatten, sind wir erst mal frühstücken gegangen. Das war unser Wochenend-Ritual. Wir hatten Spass, haben geübt, und alles basierte auf einer sehr freundschaftlichen Basis. Rockstars zu werden, daran haben wir keine Sekunde gedacht. Es war einfach ein Hobby. Weil wir alles in Eigenregie gemacht haben, wissen wir heute genau, wie wichtig das Business dahinter ist. So fand unser Demo schliesslich den Weg nach München, und die waren tatsächlich an einer Zusammenarbeit interessiert.
Plötzlich gab es Leute, die sich im Business besser auskannten und mit einem grösseren Netzwerk die nächsten Schritte für uns vorbereiteten. Natürlich gab es auch viele, die uns das Blaue vom Himmel versprachen, und wir wussten sofort, das ist alles Quatsch. Einfach, weil wir gewisse Dinge vorher selbst gemacht hatten. Unser Schritt zu einem Manager war wichtig. Er hat uns Türen geöffnet, die wir allein nie geöffnet hätten, auch wenn wir da teils sehr grenzwertig unterwegs waren. Aber dieses kommerzielle Denken war entscheidend. Plötzlich fand man sich in der Tageszeitung wieder. Das alles haben wir erlebt, kritisch hinterfragt und davon profitiert.
"...Wenn dir das nicht das Genick bricht, dann überlebst du alles..."
MF: 2007, Vorausscheidung zum "Eurovision Song Contest"…
Thom: …das war so eine dieser Ideen, wie auch das Akustik-Album. Wir konnten bei "Die grössten Schweizer Hits" im Fernsehen auftreten. Das war allerdings ein bisschen unglücklich, weil es gleichzeitig der erste Auftritt von John (Prakesh, kurzzeitiger Sänger) war. Das war eine Business-Entscheidung unseres Managers, der die Band nach vorne bringen wollte. Man muss die Medien nutzen, die es gibt, um die Reichweite zu vergrössern. Damals hatten Lordi gerade den ESC gewonnen, und das hat die Hemmschwelle gesenkt, auch härtere Klänge zuzulassen. Vorher war das eher ein Schlager-Wettbewerb. Ich persönlich hatte Mühe damit und die Befürchtung, dass uns der ESC den Hals brechen könnte.
Und das sehe ich heute immer noch so. Nimmst du an diesem Wettbewerb teil, dem grössten der Welt, wirst du von ganz Europa bewertet. Und wenn du am Schluss mit vielleicht zwei Punkten dastehst, dann bedeutet das, dass deine Arbeit, die du Europa vorgestellt hast, ihnen genau zwei Punkte wert. Damit musst du umgehen können. Wenn dir das nicht das Genick bricht, dann überlebst du alles. Ich bin mir nicht sicher, ob sich jemand wie DJ Bobo damals wirklich bewusst war, was passiert, wenn es negativ endet und was das mit dir als Künstler macht. Shakra sind ein Nischenprodukt und es war klar, dass wir da nicht als Favoriten an den Start gehen würden. Fürs Business war das eine grosse Promotion, ob die Band das überlebt oder nicht, spielte da keine grosse Rolle.
MF: Ihr habt eure Fans entscheiden lassen, welche Songs ihr auf der Jubiläums-Tour spielt. Gab es hierbei Überraschungen?
Thom (grinst): Ich muss ehrlich gestehen: Wir haben nicht alle Songs zur Wahl gestellt, sondern nur die bei denen wir wussten, dass sich daraus ein rundes Set ergeben könnte. Aus diesem Grund gab es keine echten Überraschungen (lacht). Hätten wir wirklich das komplette Repertoire freigegeben, da wäre garantiert die eine oder andere Überraschung dabei gewesen.
MF: Ihr werdet Songs aus jedem Album spielen?
Thom: Ja! Ich hatte die Idee, das Set chronologisch aufzubauen, vom ersten bis zum letzten Album. Es stand auch die Überlegung im Raum, das mit ehemaligen Bandmitgliedern auf der Bühne umzusetzen. Die Idee, das Konzert mit ihnen zu eröffnen, kam aber nicht bei allen gut an. Deshalb haben wir alles umstrukturiert. Jetzt ist das Set bunt gemischt und die Gäste besser integriert. Ich weiss, dass die ursprüngliche Idee sicher einen "speziellen" Eindruck hinterlassen hätte, aber ich sehe diese Jubiläums-Konzerte als eine Feier. Die langen Sets spielen wir zweimal, im Z7 (Pratteln, 21.06.2025) und in der Mühle Hunziken (Rubigen, 13.06.2025). Daraus entstehen dann die gekürzten Versionen für die restlichen Shows.
MF: Dann freuen wir uns auf die kommenden Konzerte und feiern mit euch 30 Jahre grossartige Rock-Songs und Shakra.
Thom (grinst): Wir sehen uns garantiert im Z7! Danke dir für deinen jahrelangen Support und bis bald. Wir freuen uns auf die Tour und auf das Experiment, nicht einfach dreiviertel des neuen Albums runterzuspielen. Diese Querbeet-Geschichte gefällt mir.