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"...Sobald du die Möglichkeit kriegst wieder aufzutreten, kommst du ins Grübeln..."
40 Jahre, wenn auch mit Unterbrechungen, sind die Chinesen nun im Business. Was alles so glorreich begann, wurde durch die Grunge-Phase abrupt ausgebremst, und "Zeichen am Himmel" verschwanden mitten in der Nacht. Gitarrist Claudio Matteo (Gitarre) hat die Geschichte von China mitgeprägt und den wilden Höhenflug sowie das brutale Aufschlagen auf den Boden am eigenen Körper erfahren. Nichts hindert ihn, Marc Lynn (Bass), Freddy Scherer (Gitarre), Hardy Hartmeier (Gesang) und Ralph Tosoni (Drums) heute jedoch daran, diese vier Jahrzehnte zu feiern.
Elf Konzerte stehen nun vor der Tür und werden die geneigten Hard Rock Fans auf eine Reise mitnehmen, als die "wilde Eifersucht" über die "heisse Liebesnacht" "zurück zu ihr" führte oder als "die zweite Chance", "bitterkalt", den "zerbrochenen Traum" zu "sag niemals tschüss" umwandelte. Was in den letzten Jahren alles passierte und warum Claudio sich lieber die alten Platten von Y&T anhört, erfahrt Ihr in diesem Interview.
MF: 40 Jahre China, sind spezielle Shows geplant?
Claudio: Für einige Konzerte konnten wir Patrick Mason (Sänger auf «Sign In The Sky») und Beat Kofmehl motivieren, mitzuspielen (grinst). In Langenthal, im Old Capitol, sind beide dabei und in der Scala in Wetzikon Patrick. Aktuell sind wir mit ihm in Kontakt. Er lebt in Berlin und war gerade längere Zeit in Thailand (lacht). Bei den ersten Konzerten gehen wir ohne die Gäste auf die Bühne, ausser in Olten in der Schützi-Turnhalle, da wird uns Eric St. Michaels (Sänger auf «Go All The Way») begleiten.
MF: 40 Jahre China, hättest du das jemals gedacht?
Claudio (wie aus der Pistole geschossen): Nein! (lautes Lachen) Es gab schon einige Male, da dachte ich, das wars nun, für immer und ewig (grinst). Fünfmal war für mich in diesen vier Jahrzehnten klar, dass es vorbei ist. Es hat Spass gemacht, aber jetzt wird das Licht ausgeschaltet. Bei jedem neuen Start waren die Veranstalter die treibende Kraft. Sobald du die Möglichkeit kriegst wieder aufzutreten, kommst du ins Grübeln. Jeder Musiker steht gerne auf der Bühne und spielt, sprich du machst das nicht des Geldes wegen.
MF: Sind China über all die Jahre dein Baby gewesen?
Claudio: Ich war auch in andere Dinge involviert, aber China war mein Haupt-Baby. Mit dieser Band konnte ich meine grössten Erfolge als Rock'n'Roller feiern, mit Tourneen, Platten-Veröffentlichungen und Interviews, also alles Dinge, die ich gerne mache. Solange die Leute nach China fragen, gibt es auch einen Grund weiterzumachen. Es überrascht mich immer wieder, wenn zehn neue Fans dazukommen. Weisst du, wir schrieben nicht «The Final Countdown». Auch wenn wir mit «In The Middle Of The Night» einen Achtungserfolg verbuchen konnten und es eine verdammt geile Zeit war, sieht man heute, wie die Zeit für uns als Band gearbeitet hat. Die guten Songs, auch wenn sie keine Hits wurden, bleiben bestehen.
Gerade eben erhielt ich eine Nachricht von einem Fan aus Deutschland, der mit unserer Musik aufwuchs. Es sind nicht tausend Mails, trotzdem zeigt mir das, dass China mit der Musik etwas bewirkt haben. Ich würde verdammt gerne wieder in Deutschland spielen, das wäre schon geil (lacht). Gehen wir allein, dann könnte es allerdings schwierig werden. Im letzten Jahr konnten wir drei Gigs in Deutschland spielen. Wir hatten leider das Pech, dass zu dieser Zeit die Strassen vereist waren. Wir planen und schauen, was sich ergeben könnte (grinst). Viele Ideen sind vorhanden, mal schauen, welche wir davon umsetzen werden.
"...Bist du auf einem Level, bei dem du die Musik so sehr liebst und das Herzblut den Takt angibt, dann spielt alles andere keine Rolle mehr..."
MF: Welches waren deine Highlights?
Claudio: Als wir 2007 mit «Light Up The Dark» wieder am Start waren, hatten wir wirklich eine grossartige Zeit und konnten viele Shows spielen. Die Fans aus unserer Frühphase fanden das damals zwar nicht so toll. Als wir beim folgenden Album («We Are The Stars») mit Tommy Henriksen arbeiteten, hatte ich das Gefühl, dass wir wieder zu unseren ersten Alben zurückkehrten, mit vielen Chören, Keyboards und schönen Melodien, sehr amerikanisch halt. Doch da wurden die Kritiken noch viel heftiger. Himmel nochmal (lacht). Uns war das damals nicht bewusst, weil wir einfach nur auftreten wollten.
Wenn du auf einem Level bist, auf dem du die Musik so sehr liebst und das Herzblut den Takt angibt, dann spielt alles andere keine Rolle mehr, wem, was, wie gefällt. Hauptsache, du selbst und deine Band sind glücklich damit. Mit zwanzig Jahren bist du völlig angepisst, wenn du eine schlechte Kritik liest und nimmst alles sehr persönlich (lacht). Heute spielt das keine Rolle mehr. Ich will Musik machen und solange China für Konzerte gebucht werden, ist alles okay. Auch wenn man mit sechzig Jahren nicht mehr nur knackig ist, sondern es eher anfängt zu knacken (lacht).
"...Du musst mir jetzt erklären, wieso ihr «In The Middle Of The Night» nicht spielt?..."
MF: Welche waren die Zeiten, in denen du am meisten zu kämpfen hattest?
Claudio: Immer gegen Ende einer Ära. Du weisst, es stehen noch drei Konzerte bevor, hast irgendwie die Schnauze voll und willst etwas anderes angehen. Mit China sitzt du auf dem, was du machst oder was dir die Vergangenheit vorgibt. Als wir wieder zusammenkamen konnten wir, zusammen mit Krokus, vier megageile Shows spielen. Chris von Rohr hat uns dabei die Gnade erwiesen, dass wir fünfzig Minuten spielen durften. Wir hatten die neue Platte herausgebracht und spielten «In The Middle Of The Night» nicht, weil wir so stolz auf unser neues Baby waren und es präsentieren wollten. Rückblickend war das wirklich der grösste Fehler von uns. Damals war uns das nicht bewusst. Klar waren «Rock City» und ein paar andere im Repertoire.
Chris sagte zu mir: "Du musst mir jetzt erklären, wieso ihr «In The Middle Of The Night» nicht spielt?" Ich sagte zu ihm: "Chris, Patrick steht nicht mit uns auf der Bühne, und Eric hat diesen Song noch nie gesungen." "Ok, der Punkt geht an dich, aber trotzdem müsst ihr diese Nummer spielen!", erwiderte er lachend. Nach dieser Ansage nahmen wir den Track sofort wieder ins Programm auf. Wenn du mit einer neuen Platte unterwegs bist, willst du stolz dein neues Baby zeigen, auch wenn es niemanden interessiert (lacht). Ich bin ein totaler Fan von Y&T. Wenn die eine neue Platte rausbringen, höre ich sie mir an, finde die neuen Tracks geil, aber wechsle sofort wieder zu «Mean Streak» und dem Achtziger-Material (lacht).
MF: Wie schwer ist dieser Zwiespalt, selbst als Fan sich nur an den alten Hits der Helden zu klammern und als Musiker trotzdem Neues zu veröffentlichen, mit dem Bewusstsein: Es interessiert niemanden?
Claudio: Gleichzeitig ist es eine Herausforderung. Das ist aktuell das Geile bei China, dass wir nur noch einzelne Songs veröffentlichen. Ein Album mit fünfzehn Nummern ist viel zu viel, das hört sich heute niemand mehr an. Mehr als acht oder zehn Tracks zu releasen, macht keinen Sinn, da die Leute keine Zeit mehr haben, sich so etwas anzuhören. Ohne einen konkreten Hintergedanken daran, haben wir nur noch einzelne Nummern veröffentlicht. Du musst höllisch aufpassen, dass das Stück knallt (lacht) und kämpfst immer dagegen an, dass die Leute nicht nur «In The Middle Of The Night» hören wollen, sondern auch den neuen Kram. Mit den beiden letzten Liedern «Love Someone» und «Ran Out Of Love» ist uns das wirklich gut gelungen. Tatsächlich haben die Fans bei den letzten Shows nach diesen gerufen und nicht nur nach «Rock City» (lacht). Es war ein geiles Gefühl, zu hören, wie sie nach «Ran Out Of Love» geschrien haben.
"...Früher war alles besser..."
MF: Wie wichtig war das Business zu Beginn eurer Karriere, beziehungsweise deren Unterstützung?
Claudio: Das war "never ending", und das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Hunderttausende von Franken wechselten den Besitzer. Vom Verlag über die Plattenfirma bis hin zu den Künstlern verdienten alle viel Geld, das Zehnfache von heute. Als Songwriter und mit den Urheberrechten sogar noch viel mehr. Dieses Geld wurde reinvestiert und so konnten die Labels die Bands unterstützen. Da wurde eine Truppe unter Vertrag genommen und das Geld zum Aufbau einer Band war vorhanden. Nicht nur 20'000 Franken, wie es heute, wenn überhaupt, noch selten vorkommt. So etwas ist im Hier und Jetzt eine absolute Glückssträhne.
Heute bekommst du nichts mehr und musst alles selbst machen. Am besten hast du deine eigene Plattenfirma und deinen eigenen Vertrieb. Stell mit ein paar Klicks deine Lieder online, und die Welt kann an "deinen Babys" teilhaben. Früher war alles besser. Du hattest einen physischen Tonträger und wusstest, da haben viele Leute mitgeholfen. Dieser Wert ist heute kaum mehr vorhanden und ist zu etwas Nostalgischem verkommen. Aber nach wie vor ist es geil, eine Platte, eine CD oder ein Shirt in den Händen zu halten. Das Shirt kann man zum Glück noch nicht elektronisch anbieten (lacht).
MF: Wurdet ihr von der Plattenfirma wie eine heisse Kartoffel fallengelassen?
Claudio: Klar, das passierte in den Neunzigern. Die grossen Plattendeals verschwanden, und die Szene änderte sich von heute auf morgen mit dem Grunge. Alle Achtziger-Hair-Metal-Bands... Wenn ich mich zurückerinnere, wie wir uns zu Beginn gestylt haben (lacht), das war schon geil, und ich hatte auch Spass daran. Du gingst auf die Bühne wie eine andere Person (lacht). Diese Umwandlung bewirkt etwas in dir. Plötzlich war das total out und jeder schaute sich nach etwas Neuem um. Das Komische allerdings war, wenn man es mit einer Beziehung vergleichen möchte, es war nicht einfach vorbei, sondern es verlief sich wie im Sande.
Als wir drei Jahre später wieder angreifen wollten, gingen wir zur EMI. Das war eine gute Erfahrung und wir veröffentlichten «Natural Groove». Die Scheibe trug diesen Titel, weil wir das Gefühl hatten, einen natürlichen Groove zu spielen. Die Überflutung durch Grunge machte auch vor China nicht halt (grinst). Einige Bands aus diesem Genre gefielen uns. Stone Temple Pilots, Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden haben bei mir Eindruck hinterlassen (grinst). Die Jungs waren gut, auch wenn der Style ein völlig anderer war. Kein Lippenstift und keine toupierten Haare mehr (lautes Lachen), sondern das scheisskarierte Hemd, mit dem man noch falsch zugeknöpft auf der Bühne stand. So warst du dabei (lacht).
"...Teamwork stand für mich immer im Zentrum.."
MF: Wie seid ihr bei den ersten beiden Platten und den damit verbundenen Erfolgen mit dem eigenen Ego und dem der anderen umgegangen?
Claudio: Zum Glück waren wir eine Truppe, die damit nie Probleme hatte. Teamwork stand für mich immer im Zentrum. Mit dieser Denkweise kommt man sehr weit. Zum Glück hatten wir bei China auch nie die grossen Probleme, dass Stühle und Tische durch den Proberaum flogen, nur weil die Idee nicht von mir stammte oder meine nicht für gut genug gehalten wurde. Auf diesen Scheiss habe ich definitiv keinen Bock! Auch heute harmonieren wir noch immer bestens zusammen. Man freut sich aufeinander und wir sind Freunde, die zusammen Musik machen.
"...Der Druck war in den Achtzigern viel grösser..."
MF: Spürst du heute weniger Druck als früher, weil ihr mit China die Welt nicht mehr erobern müsst?
Claudio: Oh ja, der Druck war in den Achtzigern viel grösser. Wir hatten einen weltweiten Plattenvertrag und spielten in Amerika. Die kleinen Truppen, die damals noch niemand kannte, haben dort auf der Bühne ohne Ende Gas gegeben. Da fiel mir echt die Kinnlade runter. Wow, da müssen wir zuerst noch ein bisschen üben, damit wir mithalten können (lautes Lachen). Die Ami-Bands haben abgeliefert und wollten an die Spitze. In L.A. und Miami waren wir in kleinen Clubs und trafen dort tatsächlich mögliche Nachfolger für die freien Sänger- und Bassisten-Positionen bei uns, aber das klappte leider nicht. Weisst du, wen wir da im Visier hatten? Oni Logan, der dann bei Lynch Mob sang. Er lebte später in der Schweiz, da er eine Schweizerin heiratete.
MF: Kam mit den ersten Erfolgen auch das Gefühl auf, Rockstars zu werden und bestand die Gefahr, den Boden unter den Füssen zu verlieren?
Claudio: Ich hatte dieses Problem nie. Wir waren Musiker, aber ein Star zu sein, das ist nochmal eine andere Nummer (grinst). Ich bin dankbar, dass ich immer noch Musiker sein kann, aber wie Bon Jovi seine Villen präsentiert, davon bin ich weit entfernt (lacht). Diese Menge an Hits haben wir nie komponiert. Wenn man sieht, was er und Richie Sambora zusammen geleistet haben, ist das unfassbar! Da ist längst nicht nur «Livin' On A Prayer». Ein Rockstar ist für mich nicht greifbar, auch was die Qualität der Musik betrifft. Eddie van Halen ist für mich unerreichbar und gleichzeitig ein Rockstar (lacht). Und Gotthard sind für mich die grösseren Stars als China (Freddy und Marc spielen bei Gotthard).
"China sind eine Truppe aus zusammengewürfelten Musikern."
MF: Woran haben sich China zu Beginn orientiert?
Claudio: Uns war nicht wirklich bewusst, was passierte, da wir keine klare Orientierung hatten. China sind eine Truppe aus zusammengewürfelten Musikern. Aus dem Bauch heraus haben wir den Moment festgehalten. Man ist mit einem guten oder schlechten Gefühl nach Hause gefahren, und anscheinend war es bei allen gut (grinst). Ich war früher der typische Heavy Metaller. Judas Priest und Iron Maiden waren meine Helden, aber auch UFO mit Michael Schenker sowie AC/DC und Status Quo. Damals mit Bloody Six waren wir eher in dieser Judas Priest Schiene unterwegs. Mit China gingen wir in die kalifornische Richtung, diesen Glam Rock. Das hat sich aber ganz natürlich ergeben.
"...Nach diesem Gig dachten wir: Jetzt starten wir durch, und passiert ist nix..."
MF: Bloody Six, bei denen du vorher gespielt hast. Ich erinnere mich an eine Show, bei der ihr Support von Krokus wart, damals in der St. Jakobshalle in Basel. Wie bist du zu China gekommen?
Claudio: Die Zeit mit Bloody Six war eine geile Phase. Nach diesem Gig dachten wir, jetzt starten wir durch. Passiert ist allerdings nix! Alle waren bereit für den Durchbruch. Irgendwann hat mich jemand irgendwo gefragt, ob ich Interesse an einer Band namens China hätte. Ich bin zum Meeting gefahren und sah dort John Dommen (damaliger Drummer von China). Die Band existierte noch nicht. Freddy war damals nicht eingeladen, sondern begleitete Hardy.
Aus der Situation heraus wurde Freddy Gitarrist bei China (lacht). Er und ich harmonierten sofort, und wir spielten aus dem Nichts «Shout It Out» und «Rock City». Später, während der Pandemie, stand alles still, so trafen wir uns wieder und begannen, neue Songs zu schreiben. Dabei entstand «Love Someone». Das half mir, neue Gigs an Land zu ziehen und so freut man sich wieder darauf, diesen einen neuen Track spielen zu können (lacht).
MF: Besten Dank für das Interview und deine Zeit! Wir sehen uns auf Tour, und darauf freue ich mich sehr.
Claudio: Besten Dank für deine Zeit Martin, sehr gerne! Gute Zeit und bis bald.