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MARILLION die Musikcrowdfunding-Pioniere aus England melden sich zurück, kündigen ein neues Album an und machen weltweit Schlagzeilen
Prog-Legenden Marillion releasen neue Single (exklusiv) und kreieren eine neue Versicherungsform. Aber ganz von Vorne. Nachdem im Jahr 2016 F E A R (Fuck Everyone And Run) mächtig einschlug und von einer wundervollen Tour gefolgt zu einem der besten Alben des Genres wurde, wird es langsam Zeit für eine neue starke Scheibe.
Zwar wurde in der Zwischenzeit viel veröffentlicht; Live-Alben, Deluxe-Neuauflagen älterer Werke und neue Arrangements “alter” Songs mit einem kleinen Orchester (With Friends from the Orchestra, 2019 - wer’s noch nicht gehört hat, sollte sich das baldmöglichst antun). Doch nun gibt es endlich (viel) Neues aus dem Hause Marillion zu berichten.
Im Sommer wurde auf den Anfang des kommenden Jahres mit gelungenem (und irgendwie süssem) Social Media Teasing das neue Album angekündigt. Mit starker Einbindung der loyalen Fangemeinde wurde auch ein Ratespiel zum Albumtitel gemacht. Wieder einmal, was bei dieser Band nicht unbekannt ist, konnten die ersten Vorbesteller ihre Namen eintragen, diese werden auf dem Album aufgedruckt.
Dann, endlich, die Bekanntgabe der Titel. Das Album mit dem noch unbestätigten Artwork wurde «An Hour Before It’s Dark» getauft. Nicht überraschend, ein Titel den man sehr unterschiedlich interpretieren kann. Ebenso vielversprechend klingen auch die einzelnen Lieder:
1. Be Hard On Yourself
2. Murder Machines
3. Reprogram the Gene
4. The Crow and the Nightingale
5. Sierra Leone
6. Care
Am 31.10.21 durften Fans, die das Album bei der Band vorbestellten, bereits in den Hörgenuss der ersten Singleauskopplung kommen. Als exklusiven Download bekommt man einen starkem, 9.5-minütigen Song, aufgeteilt in 3 Parts (später als Download in einem Stück).
Die ursprüngliche Aufteilung des Songs in 3 Teile (inkl. Untertiteln) erinnert an die Albumstruktur von «FEAR» und erweckt daher noch grössere Hoffnungen auf ein gigantisches. Album. Irgendwo meine ich gelesen zu haben, die Managerin der Band habe behauptet, A H B I D sei noch besser als F E A R. Das sind sehr grosse Worte, doch der ersten Single nach zu Urteilen könnten sie stimmen.
Das Intro ist orchestral/choral und episch, versetzt den Hörer sofort in die “Zone” (das sagt man doch so?), doch dieser wunderschöne Aufklang bleibt von etwas zu kurzer Dauer. Sehr schnell entwickelt sich der Song in einen Stil, der gleichwohl an F E A R. aber auch an frühere Marillion-Werke knüpft. Eine wunderschöne und kraftvolle, emotionale Mischung des für die Band typischen Songwriting, aber dennoch wie neu aufgegleist. Ich finde es ein Bisschen schade, dass da nicht weiter an diesem orchestralen Motiv gearbeitet wurde, doch betrachtet man die Komposition als ganze, macht es irgendwie Sinn. Durch den starken Piano-Übergang ist es schnell vergessen.
Die wohlklingende Stimme Steve Hogarth’s hört sich auf diesem Song ein Bisschen weniger Vertraut an als auch schon, denn (wohl dem steigenden Alter verschuldet) singt der als “h” bekannte Ausnahmekünstler viel tiefer als man ihn sonst auf Studioalben zu Hören bekommt. Die tieferen Gesänge assoziiere ich normalerweise nur mit jüngeren Live-Aufnahmen. Aber es ist nicht unbedingt zum Nachteil. Die tiefere Gesangsstimme verleiht dem Song eine angenehme Dunkelheit und wenn ich auch die höheren Töne Hogarth’s immer genoss, so hat dieser Ton einen sehr eigenen Charme und ich bin höchst gespannt, wie er sich auf den weiteren Songs macht.
Markant ist aber nicht nur (wie ja irgendwie erwartet) das mächtige Stimmorgan des ausdrucksstarken Frontmannes. Es ist vielleicht ein Wenig überraschend, doch in diesem Song scheinen Mark Kelly an den Tasten und Ian Mosley hinter seinem Drum auf eine ganz besondere Art. Sie rücken sich mit ihrem Spiel ziemlich ins Rampenlicht und sind fast ein Bisschen die Stars des Songs. Natürlich zeigten sich diese beiden Herren schon immer von ihrer besten Seite, doch diesmal stechen recht stark heraus. Steve Rothery ist mindestens genauso stark wie sonst auch immer. Bei war die Qualität, Präzision und Emotion im Gitarrenspiel schon immer sehr hoch und dies hat sich über all die Jahre nicht geändert und auch Pete Trevawas am Bass bringt die gewohnte Ruhigkeit und Präzision. Musikalisch ist die Messlatte für das zwanzigste Studioalbum also schon mal sehr hoch angesetzt
The songwriting is on point. Wie auch auf F E A R wird ein kritisches, globales Thema aufgegriffen. Oder Themen.
Was stark nach einem Klimawandel-Song klingt könnte man aber auch anders interpretieren. Schön, wie ich finde, so kann man das Lied auf verschiedene Situationen projizieren und es passt trotzdem noch.
Eine grosse Ähnlichkeit mit dem thematisch passenden «Seasons End» (1989, erstes Album mit Hogarth) erkenne ich nicht. Dies ist einerseits erfreulich. Anderseits aber fehlt mir die gigantische Atmosphäre des Anfangs der Hogarth-Ära. Vielleicht hätte ich mir gewünscht, dass die Anspielung auf frühere Marillion-Zeiten, die ich in diesem Song wahrzunehmen glaube, eher in diese Richtung gegangen wäre. Ist aber natürlich sehr subjektiv.
Doch das mediale Interesse, welches die Herren aus Aylesbury neulich weckten, haben sie nicht unbedingt dem neuen Song zu einem hochaktuellen Thema zu verdanken.
Die Musikmedien (und nicht nur) wurden vor Allem durch “Lightsavers” auf Marillion aufmerksam. Das Projekt, welches namentlich auch irgendwie zum neuen Album zu passen scheint, ist eine neue Form der Tourversicherung. Eine gewagte Anfrage an die loyale Fanbase. Mutig, anders, ein Anliegen welches möglicherweise nicht so gut angekommen wäre, würde es sich um eine andere Band handeln.
Nachdem die weltweite Lage - deren Namen ich langsam nicht mehr hören mag - die Eventbranche komplett aus der Bahn geworfen hat, wurden viele Bands, die wieder auf Tour gehen wollten, mit einer grossen Hürde konfrontiert. Tourversicherungen schliessen Absagen aufgrund der Pandemie aus. Finanziell extrem happig, besonders bei grossen Produktionen. Doch Marillion waren schon immer innovativ. Lightsavers wurde geboren. Ähnlich wie ein Album-Crowdfunding (womit sich diese Herren ja bestens auskennen) funktioniert die von Fans gestützte finanzielle Absicherung für die Tour. Kann die Tour normal stattfinden, wird das gesammelte Notfallgeld an die Fans zurückgegeben, in Form von Goodies und auch werden die Namen der Supporter auf das Tourprogramm gedruckt und man nimmt automatisch an einer Verlosung von Band-Memorabilia- und Merch teil. Sehr cool, wenn man mich fragt.
Fans können das finanzielle Backup der UK-Tour mit verschieden hohen Beiträgen nach eigenem Ermessen und Möglichkeiten unterstützen.
Wenn selbst das Forbes-Magazin darüber berichtet, ist es gross.
Diese Aktion zeigt wunderprächtig, wie loyal Fans einer guten Band sein können, aber auch, dass man für solch grosse Wagnisse einen gewissen Namen haben muss. Ob eine kleinere oder weniger innovative Band dieselben positiven Reaktionen ausgelöst hätte, wage ich stark zu bezweifeln.
Wir dürfen also definitiv bestätigen, dass diese Band zwar zahlentechnisch altert, doch in den Köpfen sind sie jung und frisch und genauso innovativ wie eh und je geblieben. Bleiben wir also gespannt auf das neue Album und hoffentlich auch eine grossartige Show in einem unserer vertrauten Lokale.