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Metal Factory since 1999
Von Lukas O. Ritzel, 2025 für Metal Factory
Coverbild bei Sepide Donne (2025)
Vorwort
Was könnte einen ruhigen Oxford-Philologen, einen Mann, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Sprachen und Mythen prägte, mit dröhnenden Verstärkern, ausgedehnten Soli und der epischen Bühnenkunst des Heavy Metal verbinden? Auf den ersten Blick fast nichts.
Doch Tolkiens Legendarium ist von Musik durchdrungen. In ‘Ainulindalë’ beginnt die Welt mit einem Lied. Die Valar singen die Schöpfung in Form und Harmonie, die wiederum Berge, Ozeane und Himmel formen. In ‘Der Hobbit’ und ‘Der Herr der Ringe’ singen die Figuren Trinklieder, Elegien, Klagelieder und Marschlieder. Musik ist in Mittelerde keine Verzierung, sondern Erinnerung, Identität und Macht - Diesen Faden nehmen wir später wieder auf.
Obwohl Tolkien selbst kein Musiker war, hat er der Musikwelt einen Schatz hinterlassen. Seine Texte enthalten Rhythmus und Resonanz, mythische Dimensionen und intime Details. Für Rock-, Folk- und insbesondere Metal-Bands – Genres, die von grossen Themen leben – bieten Tolkiens Geschichten ein ideales Terrain. Selbst die Spannung im Herzen der Rockmusik – zwischen Archaischem und Modernem, Ritual und Technologie – spiegelt den tiefen Kontrast zwischen dem idyllischen Auenland und den Maschinen von Mordor wider.
Dieser Artikel versucht nicht, alle von Tolkien inspirierten Songs aufzulisten, die jemals veröffentlicht wurden. Eine vollständige Liste wäre kaum je zu erstellen, doch die wohl umfassendste Sammlung findet sich hier: Ihr Initiator, Chris Seeman, wird in einem späteren Teil dieser Serie auch selbst zu Wort kommen.
Wir folgen stattdessen einigen wichtigen Beispielen und zeigen, wie Tolkiens Fantasie in Songtexte und Riffs einfloss, was Musiker von ihm übernommen haben und warum Mittelerde auch mehr als ein halbes Jahrhundert später noch immer in Metal und Rock nachhallt. Zudem durfte ich mit über fünfzehn Bands und Musikern Interviews führen, um ihre Eindrücke und Gedanken zu Tolkien zu erfahren und herauszufinden, warum sie sich von diesem Autor künstlerisch inspirieren lassen.
Vom Oscar-Triumph zum Kulturdenkmal
Am 29. Februar 2004 räumte Peter Jacksons ‘Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs’ bei der 76. Oscar-Verleihung in Los Angeles ab und gewann alle elf Kategorien, in denen er nominiert war. Damit zog er mit ‘Ben Hur’ (1959) und ‘Titanic’ (1997) gleich, was die meisten Oscars angeht; einzigartig war jedoch, dass er in keiner einzigen Kategorie verlor. Für ein jüngeres Publikum war dies die Nacht, in der Namen wie Frodo, Aragorn und Sauron zu Begriffen der globalen Popkultur wurden.
Zu Lebzeiten wurde Tolkien von Lesern und Wissenschaftlern bewundert, doch er erlebte nicht mehr die enorme kulturelle Welle, die nach seinem Tod im Jahr 1973 einsetzte. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurden seine Werke in Dutzende Sprachen übersetzt – von Isländisch bis Japanisch, von Farsi bis Swahili. (Schweizerdeutsch wird bis 2027 erwartet.)
Was als sprachlicher Rahmen begann – Geschichten, die geschrieben wurden, um unter anderem seine erfundenen Sprachen zu beherbergen –, war zu diesem Zeitpunkt bereits eine der Grundlagen der modernen Fantasy. Für Musiker bedeutete dies einen mythischen Raum voller Archetypen, Bilder und bereits musikalischer Texte – eine perfekte Quelle für Riffs und Verse.
Campus-Taschenbücher, ‘Frodo lebt!’ und die Hippie-Untergrundszene
Die Geschichte, wie Tolkien zu Rockmusikern kam, beginnt jedoch nicht mit Gitarren, sondern mit Büchern. 1965 veröffentlichte Ace Books in den Vereinigten Staaten unautorisierte Taschenbuchausgaben von ‘Der Herr der Ringe’. J.R.R. Tolkien war empört und bestand darauf, dass sie eingestellt werden. Daraufhin veröffentlichte Ballantine Books die erste autorisierte amerikanische Ausgabe. Ironischerweise steigerte die Kontroverse die Popularität. Der Slogan ‘Frodo Lives!’ erschien auf Ansteckern, Flyern und als Graffiti an Universitäten in den gesamten USA. 1
1967 war Tolkien bereits Teil der Londoner Gegenkultur. Der ‘Middle Earth Club’ in Covent Garden (später im Roundhouse) wurde zu einem wichtigen Veranstaltungsort für Bands wie Pink Floyd, The Who, The Yardbirds und Fairport Convention. Sein Name war eine direkte Anspielung auf Tolkien. 2
In der Nähe blühte die Kommune und Zeitschrift ‘Gandalf’s Garden’ – psychedelisch, spirituell, eklektisch. Zwischen 1968 und 1969 erschienen sechs Ausgaben voller Mystik, Illustrationen und einer starken Präsenz Tolkiens. 3
Sogar die Beatles hatten ein eigenes Tolkien-Projekt: Paul McCartney sollte Frodo, Ringo Starr Sam, George Harrison Gandalf und John Lennon Gollum spielen. Als Regisseur wurde Stanley Kubrick ins Gespräch gebracht. Tolkien selbst lehnte die Rechte jedoch ab. 4
Bühnenbilder, Namen und Rituale
Tolkien inspirierte nicht nur Songs, sondern gab auch Identitäten vor, mit denen Rockmusiker spielen konnten. Ritchie Blackmore, der Gitarrist von Deep Purple, trug oft Umhänge und breitkrempige Hüte und strahlte auf der Bühne das Charisma eines Zauberers aus. Diese Persona entwickelte er später in seinem mittelalterlichen Folk-Projekt Blackmore's Night weiter. 5
Marc Bolan von T. Rex bediente sich mythischer Bilder, während sein Bandkollege Steve Peregrin Took seinen Künstlernamen einfach von einem Hobbit übernahm. 6
Auch ausserhalb des Studios floss Mythos in Rituale ein. So besiegelte Jim Morrison von The Doors 1970 seine Beziehung zu Patricia Kennealy in einer von neopaganistischen Traditionen inspirierten Handfasting-Zeremonie. Der Rock dieser Jahre suchte nach alter Resonanz und Tolkiens Schriften, die ohnehin schon mit erfundenen Traditionen durchsetzt waren, passten perfekt zu diesem ästhetischen Hunger. 7
Led Zeppelin: Misty Mountains und Hyde Park
Die legändäre britische Rockband Led Zeppelin integrierte zu dieser frühen Phase Tolkien am deutlichsten. In «Ramble On» (1969) singt Robert Plant von Reisen durch Mordor und Begegnungen mit Gollum.
Led Zeppelin – «Ramble On»
In «The Battle of Evermore» (1971) beschwören Plant und Sandy Denny von Fairport Convention. in einem von Mandolinen begleiteten Duett die Ringgeister herauf.
Und in «Misty Mountain Hop» (1971) geben Tolkiens Bergkette (Nebelgebirge) dem Song den Titel. Der Text beschreibt aber eigentlich eine Kundgebung für die Legalisierung von Marihuana im Hyde Park am 7. Juli 1968, bei der es zu Verhaftungen durch die Polizei kam. 8 Dieses Beispiel zeigt, wie Tolkiens Bildsprache schon damals für moderne Stimmungen neu interpretiert wurde: epische Fantasie in den Titeln und gegenkultureller Protest in den Texten. Zeppelin hat Tolkien nicht ‘adaptiert’, sondern die Atmosphäre von Mittelerde – Geheimnis, Bedrohung und Wanderschaft – in Rockform übersetzt.
Black Sabbath: Enter the Wizard
1970 legten Black Sabbath mit ihrem Debütalbum den Grundstein für eine neue Ära der Musikgeschichte. Zwischen Donnerschlägen und dunklen Riffs erklang mit ›The Wizard‹ ein bluesgetränkter Heavy-Track, in dem die unerwartete Kraft einer Mundharmonika das Okkulte beschwor – ein Moment, der die Welt des Rock unwiderruflich veränderte. Fans und Wissenschaftler interpretierten ihn als Hommage an Gandalf, und Bassist Geezer Butler bestätigte später diese Verbindung. 9
Im Juli 2025 schloss mit dem Tod von Ozzy Osbourne im Alter von 76 Jahren ein Kapitel der Metal-Geschichte. 10
Black Sabbath «The Wizard»
Camel, Rush und Bo Hansson: Prog Maps Middle-Earth
Progressive Rock mit seiner Vorliebe für Suiten und Geschichtenerzählen fand in Tolkien einen natürlichen Verbündeten. Camels dreiteilige Epos (Triptych) «Nimrodel/The Procession/The White Rider» (1974) schildert Gandalf Verwandlung in ziemlich genau neun epischen Minuten.
Camel – «Nimrodel» (Live 1976, London)
Rush lieferte sowohl «Rivendell» (eine ruhige Ode an die Zuflucht der Elfen, die, wie wir ja heute wissen vom Lauterbrunnental inspiriert war) als auch das düstere, mehrteilige «The Necromancer» (beide 1975).
Rush – «Rivendell» Produced in 2006 for RushCon 2112
Und in Schweden ging Keyboarder Bo Hansson noch einen Schritt weiter: Er veröffentlichte das Instrumentalalbum «Music Inspired by Lord of the Rings» (aufgenommen 1969–70, internationale Veröffentlichung 1972). Es wurde eine der ersten kompletten Platten, die Tolkiens Mythos gewidmet waren.
Bo Hansson – «The Black Riders»
Frühe Experimente: Von Pop bis Folk
Tolkien drang sogar in den leichteren Pop oder Balladen vor. Die amerikanische Gruppe The Hobbits veröffentlichte 1967 das Album «Down to Middle Earth», psychedelischen Pop mit einem Augenzwinkern zu den Büchern.
The Hobbits – Down to Middle Earth (1967) (US, Psychedelic Pop)
Eine wunderschöne Interpretation einer zentralen Tolkien Figur gelang der Band Barclay James Harvest mit «Galadriel», zu der wir in den 70er Jahren so oft geschlossen mit unserer ‘Elbenprinzessin’ getanzt hatten.
Barclay James Harvest – Galadriel (1974 Live Version)
Sally Oldfield, die Schwester des Rock Giganten Mike Oldfield verwob Elbenreferenzen direkt in ihr ambitioniertes Werk «Songs of the Quendi» (1978), eine weitläufige Suite, die bewies, dass Tolkien nicht nur Hardrock, sondern auch folkige Konzeptalben inspirieren konnte.
Sally Oldfield – Night Theme (Songs of the Quendi)
Nicht jeder Einfluss war aber wörtlich zu nehmen. Decamerons «Journey’s End» (1975) erwähnt zwar weder Hobbits noch Mordor, doch der Song ist von derselben Melancholie und Abschiedstimmung geprägt, die auch Tolkiens Werke kennzeichnet. Dies zeigt, dass Musiker oft versuchten, die Atmosphäre von Mittelerde einzufangen, ohne sie direkt zu zitieren.
Journey's End – Decameron – Topic
Der britischen Band Uriah Heep ist mit «Tales» ein Tolkien-inspirierter Song gelungen, der zu den Lieblingsstücken des Autors gehört. Eine direkte Tolkien-Quelle habe ich bei Ken Hensley oder Uriah Heep zwar bisher nicht gefunden. Dennoch kreist ihre Musik oft in mythologischen Gefilden. Laut einigen Prog-Diskussionen gilt Hensley als Tolkien-Fan, was die poetische Atmosphäre seiner Texte zusätzlich erklärt. 11
Uriah Heep – Tales (2017 Remaster) (Official Audio)
In den USA feierten Styx mit Hits wie Boat on the River enorme Erfolge – doch auch Mittelerde fand bei ihnen seinen Platz. Ihr Song «Lords of the Ring» zeigt, dass die Band schon früh offen für Tolkien-inspirierte Themen war. Passend dazu haben Styx im Jahr 2025 ein neues Album veröffentlicht. Die Formation ist seit jeher dafür bekannt, komplexe Konzepte mit eingängigen, kraftvollen Melodien zu verbinden – ein Ansatz, der auch bei Tolkien-bezogenen Werken gut funktioniert. Der neue Longplayer (2025) trägt den Titel «Circling From Above». So wie bei ihrem Ausflug nach Mittelerde verschmelzen auch hier musikalische Welten zu einem stimmigen Ganzen.
Styx – Lords of the Ring (2011)
Textauszug aus «Lords of the Ring»
All hail to the Lords of the Ring
To the magic and mystery they bring
To the music in their story
All hail to the Lords of the Ring
To the magic and mystery it brings
May we someday wear its glory
In den Tolkien-Tunnel geraten
Als Schweizer fand ich es natürlich besonders interessant, dass ich eine Schweizer Band entdeckt habe, die in ihren Anfängen stark von Tolkien beeinflusst war.
Die Schweizer Progressive-Rock-Band PLAMP mit Jazz-Einflüssen verwendete in ihrem 1978 erschienenen Song «Arwen» vom «Album Side A 03» eine bemerkenswerte literarische Referenz. Der Titel des Songs bezieht sich direkt auf Arwen, eine zentrale Figur in J. R. R. Tolkiens Werk. Arwen, eine Elfe, die eine entscheidende Rolle in der Geschichte spielt, symbolisiert Themen wie Liebe, Gut gegen Böse und ein heroisches Schicksal. Diese Themen stimmen mit den tiefgründigen, komplexen Motiven überein, die oft in der Musik von PLAMP zu finden sind. Auch wenn der Song nicht die gesamte Geschichte von Arwens Charakter erzählt, dient der Name wahrscheinlich als symbolische Anspielung auf diese Themen.
Die Band war dafür bekannt, literarische und mythologische Referenzen in ihre Texte einzubauen, was die Verbindung zu Tolkiens Werk plausibel und passend macht. «Side A 03» ist für seine musikalische Komplexität bekannt, die von verschiedenen literarischen Quellen, darunter Fantasy und Mythologie, beeinflusst ist und mit den Themen aus Tolkiens Universum im Einklang steht. Der Track «Arwen» kann somit als musikalische Reflexion von Tolkiens Auseinandersetzung mit Liebe, Opferbereitschaft und dem ewigen Kampf zwischen Gut und Böse gesehen werden.
PLAMP 1978 Side A 03 Arwen
Ich hatte die Gelegenheit, mit dem Sänger und Komponisten der Band, dem Musiker Fortunat Frölich zu sprechen. Er denkt auch heute noch intensiv über den anhaltenden Einfluss von Tolkiens Werk auf seine Musik und sein persönliches Leben nach. Er glaubt, dass ihn die Begegnung mit Tolkiens Geschichten tief geprägt hat, auch wenn er nicht mehr direkt auf Tolkiens Texte Bezug nimmt. Stattdessen schwingt die Essenz von Tolkiens Welt in seiner Musik mit. Eines seiner neueren Stücke «Ambient Sketch» beispielsweise wird als ‘Frodo-Stück’ beschrieben. Es ist von seinen persönlichen Wanderungen inspiriert, bei denen er sich oft wie einer der Gefährten aus dem ersten Band von Tolkiens Ring fühlt.
Frölich erinnert sich daran, wie er Der Herr der Ringe und Das Silmarillion während seiner Bergwanderungen gelesen hat. Er fand Tolkiens Schöpfung einer ganzen Welt – von ihrer Entstehung bis zu ihrem endgültigen Untergang – wirklich beeindruckend. Besonders bewegt ihn die Darstellung von Macht in Tolkiens Werk. Er hält es für eine der tiefgründigsten Analysen über das Wesen der Macht.
Frölich sagt dazu: ‘Tolkien zeigt die Macht in seiner Geschichte in allen ihren Ausgestaltungen: Als Kraft (potenza) und Fähigkeit, wie sie Aragorn und Gandalf verkörpern, die ihre Macht für eine alle Menschen einbeziehende Gemeinschaft einsetzen. Er zeigt Macht aber auch in der Form von Sauron und seinen abgerichteten Schergen, als egoistisch eingesetzte Macht, die (Allein-)Herrschaft anstrebt und für dieses Ziel vor keiner noch so grausamen Methode zurückschreckt. Leider finden wir diese Art von Machtausübung auch heute noch im realen Leben. Und wir finden bei Tolkien auch die Beschreibung der grössten Macht, der wir uns alle nicht entziehen können – der Macht der Naturgesetze.
Dieser Naturmacht fällt Sarumans Burg zum Opfer und auch der ‘alles knechtende’ Ring schmilzt schlussendlich im Feuer des Erdinnern. Diese höchste Macht der Natur ist aber unparteiisch, sie macht keinen Unterschied vor niemandem. Sowohl Freund wie Feind müssen die Naturgesetze berücksichtigen, Freund und Feind können die Naturgesetze aber auch zum eigenen Nutzen anwenden. Die Natur nährt, die Natur tötet. Die unbeugbare Macht der Natur behandelt Freund und Feind gleichermassen wenn sie ihre Gesetze vollzieht. In Tolkiens Ring-Geschichte wird diese Wertefreiheit in der Figur von Tom Bombadill ausgestaltet. Eine Figur, der meines Erachtens allgemein zu wenig Beachtung geschenkt wird. Sie kommt zum Beispiel auch im Film von Peter Jackson nicht vor.’
Als Fortunat Frölich über das Lied «Arwen» spricht, merkt er an, dass er zum Zeitpunkt des Schreibens nicht damit gerechnet habe, professioneller Komponist zu werden. Das Lied steht für ihn für seine Jugendjahre, eine Zeit des Idealismus und des Glaubens an die eigenen Werte. Frölich ist überzeugt, dass Tolkiens Einfluss auf die Musik auch künftige Generationen inspirieren wird. Er betont, dass Tolkiens Werk nicht nur Fantasie ist, sondern durchdacht konstruiert, emotional tiefgründig und damit ein hoher Standard für jede kreative Ausdrucksform – sei es in der Musik, der Literatur oder der Kunst – ist. Für Frölich sollte gute Musik, ähnlich wie Tolkiens Werk, unabhängig vom Genre, tiefgründig und authentisch sein.
Das aktuelle Schaffen von Fortunat Frölich kann auf seiner Webseite – eingehört werden. Homepage: www.fortunatfroelich.com
Warum Tolkien Musiker noch immer inspiriert
Warum greifen seit Jahrzehnte so viele Bands – von Folk-Duos bis hin zu Black-Metal-Kollektiven – auf Tolkien zurück? Die japanisch-iranische Illustratorin Sepideh Donne hat diese Frage für sich wunderschön beantwortet:
‘Tolkien in Musik, Illustrationen und Filmen zu erleben, hat meine Sicht auf die Welt verändert. Mittelerde wurde für mich zu mehr als nur einer Geschichte – es wurde zu einer Linse, durch die ich die Kultur selbst betrachten konnte.’ Für Faktoren sind dabei einige Punkte besonders hervorzuheben:
Zeitlose Themen: Gut gegen Böse, Loyalität und Verrat, Mut und Opferbereitschaft, Schicksal und Freiheit – das sind die Kernpunkte sowohl von Tolkiens Geschichten als auch der Dramaturgie des Rock. Tolkiens anhaltende Anziehungskraft liegt in seinen Themen, die genreübergreifend Anklang finden. Rock und Metal mit ihrer Vorliebe für Grösse und Intensität finden hier einen natürlichen Nährboden. So wie Symphonien einst nationale Epen transportierten, so transportieren Alben heute Sagen von Hobbits, Ringen und Schlachten. Bands adaptieren nicht einfach, sondern sie wiederholen, verstärken und interpretieren neu.
Insgesamt eine vollständige Welt: Tolkien schuf nicht nur Charaktere, sondern auch Karten, Sprachen und Mythen, die Jahrtausende umspannen. Diese Tiefe gibt der Musik Halt.
Von Liedern durchdrungen: Von den Liedern der Rohirrim bis zu den Banketten der Hobbits ist Mittelerde von Musik durchdrungen. Bands wie Blind Guardian oder Summoning mussten nichts erfinden, sondern lediglich verstärken.
Gegenkulturelle Resonanz: In den 1960er Jahren wurde Tolkien zu einem Bezugspunkt für Anti-Establishment- und Ökologie-Bewegungen. In den 2000er Jahren verbreiteten Jacksons Filme diese Anerkennung weltweit.
Nicht nur Adaption, sondern Atmosphäre: Es ist wichtig zu beachten, dass Tolkiens Einfluss nicht immer wörtlich zu nehmen ist. Einige Bands erwähnen Frodo oder Mordor nie, aber dennoch herrscht bei ihnen die Atmosphäre von Mittelerde. Denke an Decamerons „Journey's End” (1975): keine Hobbits, aber ein tiefes Gefühl von bittersüssem Abschied. Oder auch die unzähligen Bands, deren Albumcover Ruinen und Berge zeigen, die genauso gut östlich von Rivendell stehen könnten.
Das Internetzeitalter und der Aufstieg des „Tolkien Metal”
In den 1990er Jahren machte das Internet Tolkiens tiefere Überlieferungen leicht zugänglich. Musiker erkundeten nicht mehr nur ‘Der Hobbit’ und ‘Der Herr der Ringe’, sondern auch Das ’Silmarillion’, ‘Nachrichten aus Mittelerde’ und in Teilen sogar den Zwölfbänder ‘Die Geschichte Mittelerdes’. Das Ergebnis war die Entstehung einer eigenständigen Strömung, die oft als ‘Tolkien Metal’ bezeichnet wird.
Zwei Bands sind dabei besonders hervorzuheben:
Blind Guardian
Ihr Konzeptalbum «Nightfall in Middle-earth» aus dem Jahr 1998 erzählt einen grossen Teil von ‘Das Silmarillion’. Mit seinen Chören, Erzählungen und vielschichtigen Arrangements ist es bis heute eine der ambitioniertesten Adaptionen im Metal.
The Eldar (Remastered 2007)
Summoning
Das österreichische Duo hat seit Mitte der 1990er Jahre ganze Welten aus atmosphärischem Black Metal rund um Tolkien erschaffen. Ihre Alben «Dol Guldur» (1996), «Stronghold» (1999) und «Oath Bound» (2006) sind weniger von Riffs geprägt als vielmehr von einer immersiven Atmosphäre: Programmierte Drums hallen wie ferne Kriege wider, Keyboards malen Nebel und Ruinen und jeder Titel verweist auf Karten und Geschichten.
Land of the Dead from Oath Bound – Summoning - Topic
Nach den Filmen: Tolkien überall
Jacksons Filmtrilogie (2001–2003) liess die Strömung zu einem Sturm anwachsen, dessen Wucht das Erbe Tolkiens in bis dahin ungeahnte Höhen trug. 12 Plötzlich waren Frodo und Sauron in aller Munde und selbst Gelegenheitshörer erkannten Anspielungen auf Mittelerde in Songtexten. Von Thrash bis Symphonic Metal, von Doom bis Folk – Tolkien-Motive waren allgegenwärtig.
Endnoten
1 Hintergrund: Blog der Library of Congress: https://blogs.loc.gov/copyright/2018/02/frodo-lives.
2 Beitrag: https://ramzine.co.uk/features/the-curious-case-of-the-middle-earth-club-in-londons-covent-garden/
3 Fotos: https://faroutcompany.com/gandalfs-garden-1968/ )
4 Hintergrund BBC-Bericht: https://www.bbc.com/news/entertainment-arts-58700082 )
5 Übersicht: https://www.newjerseystage.com/articles2/2024/06/01/an-interview-with-ritchie-blackmore-and-candice-night-of-blackmores-night062024/
6 Sekündär Info: https://en.wikipedia.org/wiki/Steve_Peregrin_Took
7 Interview https://www.americanlegends.com/morrison/interview.html
8 Kontext: https://ultimateclassicrock.com/led-zeppelin-misty-mountain-hop-2/
9 Song-Eintrag: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Wizard_%28Black_Sabbath_song%29
10 (Nachruf Metal-Factory: https://metalfactory.ch/news-szene/newsundszene-2/ozzy-osbourne-gestorben-2025 ) Für viele hat «The Wizard» nun eine doppelte Bedeutung: ein Song über Anfänge, der ungewollt zu einem Denkmal geworden ist.
11 Diskussion: https://www.progarchives.com/forum/forum_posts.asp?TID=19810
12 Übersicht über die 76. Oscar-Verleihung: https://time.com/5148660/who-has-won-the-most-oscars/
Anhänge und Referenzen – hier.