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"...Aus diesem Grund war die Corona-Zeit für uns sehr hilfreich..."
Die schwäbische Truppe Brainstorm veröffentlichte seit ihrem Debüt-Album «Hungry» (1997) ein Hammer-Werk nach dem anderen. Der aktuelle Höhepunkt nennt sich «Wall Of Skulls», eine Scheibe, die nur so vor intelligentem, vielseitigem und packendem Songmaterial strotzt und seinen eh schon sensationellen Vorgänger «Midnight Ghost» gar in den Schatten stellt. Dabei sind es nicht nur die harmonischen, sich immer wieder duellierenden Gitarrenparts von Torsten "Todde" Ihlenfeld und Milan Loncaric, sowie der nichts durchlassende und verspielte Rhythmusteppich mit Trommler Dieter Bernert und Bassist Antonio Leva, sondern einmal mehr, im Speziellen, die meisterliche Leistung von Sänger Andy B. Franck, welche dem neusten Streich den Stempel aufdrückt. Was «Wall Of Skulls» uns zu sagen hat, welchen Beitrag COVID-19 dazu hatte und warum Andy von seiner Mutter in der Jugendzeit fast ausquartiert worden wäre, das könnt Ihr im folgenden Gespräch mit dem wie immer redseligen Sänger nachlesen.
MF: Was wollt ihr uns mit «Wall Of Skulls» mitteilen?
Andy: Es ist alles schlecht und scheisse… (lautes Lachen). Im Prinzip ist diese «Wall Of Skulls» mehr eine Metapher für das, was sich über die Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende zwischen den Völkern, auf Grund der Religionen, aufgebaut hat. Als Beispiel kann der nahe Osten heran gezogen werden, mit Israel und Palästina. Auf beiden Seiten hast du Leute, welche Vater, Mutter, Schwester, Bruder oder Onkel verloren haben. Da geht es nicht mehr um ein Annähern, sondern um Rache. Diese «Wall Of Skulls» symbolisiert die Mauer, die jeder aufbaut, immer höher wird und irgendwann unüberwindbar sein wird. Die Mauer besteht aus Skeletten und Totenköpfen. Man darf das Werk aber nicht als Konzeptalbum verstehen. Die Texte behandeln ein paar historische Themen, aber auch aktuelle Geschehnisse wurden verarbeitet. Wir sind leider nicht die Truppe, die über Regenbogen und Ritter schreiben kann (grinst). Das waren wir nie und werden es auch nie sein (lacht).
MF: Als ich das Intro gehört habe, dachte ich, es könnte ein guter Soundtrack zu einem Film wie «Der Da Vinci Code» sein…
Andy: …interessant, das ist aber purer Zufall. Ich lass das gerade imaginär in meinem Kopf ablaufen…, würde passen, ja…, aber! Was sagt uns das (mit einem schelmischen Blick)? Das bedeutet, dass wir was Cooles erreicht haben! Wir konnten dein Kopfkino aktivieren, und das ist wunderbar. Darum gings im Endeffekt auch. Wir hatten auf der letzten Scheibe kein Intro. Todde und mir war es dieses Mal sehr wichtig, dass wir bei «Wall Of Skulls» wieder mit einem musikalischen Einstieg starten. Damit wir den Fan und die Zuhörer:innen mit dem Charakter des Albums abholen können. Bei mir war das früher immer mit «Powerslave» von Iron Maiden der Fall, obschon der Anfang nur sehr kurz ist, diese knarrende Türe. Das ist eine Sache, die bei mir immer hängen geblieben ist. Da hat es die Truppe geschafft, einen Touch Hörbuch unter zu bringen. Das versuchten wir immer wieder, wie bei «Soul Temptation».
MF: Wie stehst du selber zu Religionen?
Andy: Ich bin kein riesig gläubiger Mensch. Ich renne weder in die Kirche, noch bin ich sehr gottesfürchtig. Es ist völlig in Ordnung, dass jeder seine Religion hat. Es war schon immer so, dass der Mensch jemanden braucht, zu dem er aufschauen kann. Da sind die Leute sehr empfänglich dafür (grinst). Grundsätzlich eine Religion, die dich veranlasst Krieg zu führen oder andere Menschen umzubringen, weil sie nicht den gleichen Glauben haben, kann keine gute Religion sein. Das Christentum hat eine menge, menge Leichen im Keller. Ich bei einer, wie viele, viele andere auch…, wenn es einem gut geht, denkt man nicht dran, wenn es einem schlecht geht, schiesst man sehr schnell ein paar Gebete gen Himmel.
MF: Kommen wir zurück zum neuen Album. Schon zu Beginn spielt ihr geschickt eine schnelle Nummer «Where Ravens Fly» und wechselt dann zu einem harten Midtempo-Track in Form von «Solitude». Wie wichtig ist euch dieses Wechselspiel?
Andy: Was wir in den letzten Jahren lernten, und was uns bei den letzten beiden Scheiben sehr gut getan hat, ist, dass wir grundsätzlich Lieder schreiben, die aus uns heraus kommen. Ohne zu überlegen, was wir brauchen. Was wir uns dabei abgewöhnten, ist einen erzwungenen Wechsel auf einem Album zu haben. Das braucht es nicht, das ist totaler Quatsch. Die Platte muss stimmig sein. Da dürfen durchaus auch zwei oder drei schnelle Lieder nacheinander zu hören sein. Wie auch zwei oder drei langsame Tracks. Es war schön zu sehen, dass wir eine gewisse Farbe im Album hatten. Es fühlte sich nicht monoton an. Wir haben die Pandemie-Zeit dazu genutzt, die Lieder nochmals umzuschreiben und neu zu arrangieren. Das haben wir bis anhin noch nie gemacht. Rotzfrech schmissen wir Teile aus einem Song raus. In typischer Brainstorm-Manier hätten wir alles belassen wie es war. Als Beispiel hätte «Glory Diasappears» in der ursprünglichen Art auf mehreren Alben von uns stehen können. Der wäre sechs bis sieben Minuten lang gewesen. Die Idee war: "Was passiert, wenn wir dieses Pompöse raus schmeissen?" Am Schluss waren wir bei einer Spielzeit unter vier Minuten, und trotzdem ging der Charakter des Songs nicht verloren. Er startet direkt mit dem Gesang, was bei uns noch nie so war. Ich fand diese Arbeitsweise sehr spannend und erfrischend, die wir zusammen mit unserem Produzenten Seeb (Sebastian Levermann) umsetzten. Ich bin mir sicher, diese hat dem Album sehr gut getan.
MF: Seid ihr dieses Mal noch bewusster mit grossen Chören ins Rennen gegangen?
Andy: Das ist durchaus richtig. Das erste Album, das wir mit Seeb zusammen gemacht haben, war noch ein gegenseitiges Abtasten. Beim zweiten Werk weiss man dann schon eher, wie man miteinander umzugehen hat. Im Vorfeld hatte ich schon einige Ideen, wie man mit den Chören umgehen könnte. Wenn jemand hinter dem Mischpult sitzt der genau gleich denkt, die Ideen aufnimmt und optimiert, dann ist das monstermässig geil. So kann auf einem ganz anderen Level zusammen gearbeitet werden. Das ist sensationell, und da hast du recht, dass wir den Chören nochmals mehr Aufmerksamkeit widmeten.
MF: Kann man sagen, dass die Corona-Zeit nicht unbedingt hinderlich war, sondern euch vielleicht mehr Zeit einbrachte, um länger an der neuen Scheibe zu schleifen?
Andy: Was ich dir jetzt erzähle, darf ich gar nicht laut sagen. Das ist eigentlich ziemlich kaputt, weil…, für uns war diese Corona-Zeit tatsächlich fast ein Glücksfall. Das klingt echt pervers…, wir hatten das Studio für das Frühjahr 2020 geplant und der Release wäre anfangs 2021 gewesen. Dann kam am 16. März 2020 der komplette Lockdown. Da war alles finito. Nicht treffen, nicht berühren und nicht küssen (lautes Lachen). Das ist uns besonders schwer gefallen (lautes Lachen). Ja, komm, den hast du doch erwartet von mir…
MF: …ja, ich wäre fast überrascht gewesen…
Andy: …eben (lacht). Es klingt wirklich pervers, aber wir waren fast fertig. Ich war mit den Gesangslinien und teilweise auch mit den Songs jedoch nicht glücklich. Dann kam dieser legendäre Anruf: "Hey! Wir dürfen nicht mehr miteinander (lacht) und müssen alles verschieben!". Gesagt, getan, alles verschoben auf November. Ich war der Ansicht, dass es fatal wäre, wenn wir nix machen und zum Blumenzüchter werden. Warum sich nicht die Zeit nehmen und nochmals am Album arbeiten? "Wieso denn???" Aus dem einfachen Grund, weil ich nicht glücklich bin mit dem Baby. So sassen Todde und ich nochmals zusammen und arrangierten jeden Track um. Teile wurden raus geschmissen. Als diese Versionen fertig waren, tat ich etwas, das völlig krass war. Bei den ersten Texten hatte ich eine Art Blockade. Ich vergleiche das immer mit dem Essen. Du kannst dir was zaubern, da musst du aber Bock drauf haben. Du hast die Laune nicht dazu und willst nur etwas, das dich satt macht. Fette Mayonnaise mit Nudeln. Aus! Ist okay, macht satt, aber gut ist es nicht. Du weisst auch, jeden Tag willst du das nicht essen. So ging es mir mit den Gesangslinien. Ich bin wie im Kreis herum gelaufen. Ja, war alles toll, aber das kann sich niemand anhören. Die Band fands immer gut. Am Ende sagten alle: "Du hast recht gehabt, weil es so ein Andy B. Standard war". Nach dem x-ten Besuch bei Todde fuhr ich heim und hab den ganzen Scheiss gelöscht. Alles, an dem ich fünf Monate lang gebastelt habe. "So, jetzt fang ich nochmals von Null an!". Meine Frau hat mich verflucht (grinst). "Jetzt kann ich mir den ganzen Scheiss abermals anhören", war ihr Kommentar (lautes Lachen). Gott sei Dank, hat es dann aber keine fünf Monate mehr gedauert. Das war wie eine Initialzündung. Text und Gesang, lass mich lügen, waren alles in vier bis sechs Wochen im Kasten. Aber dann in der Art, dass ich am anderen Morgen aufgestanden bin und es noch immer geil fand. Aus diesem Grund war die Corona-Zeit für uns sehr hilfreich. Aus diesem Tour-Release-Tour-Modus auszubrechen, einen Gang zurück zu schalten und nochmals über einige Dinge nachzudenken. Aus dieser Phase haben wir sehr, sehr viel gelernt, was ich sehr cool finde. Ich denke, dass wir zukünftig anders an die Lieder heran gehen werden, mit einem anderen Blick. Muss der Track so lange sein? Braucht er diesen Part? Wir werden das Material nicht einfach nur aufnehmen, damit es im Kasten ist. Wir werden uns einen anderen Fokus setzen, und ich bin mir sicher, dass diese Zeit den Songschreibern in der Band sehr gut getan hat.
"...Peavy war Feuer und Flamme. Ich bin megastolz darauf und finde die Zusammenarbeit den Hammer..."
MF: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Peavy von Rage?
Andy: Bis jetzt gab es so etwas nicht. Ich habe Seeb schon lange erzählt, dass ich mit einem Gastsänger liebäugle. Er sass nach dem fünften oder sechsten Namen kopfschüttelnd vor mir im Studio und sagte: "Du kommst mit lauter Typen aus England, Amerika oder Schweden an, dabei sitzt eine alte Metal-Ikone ganz in der Nähe. Mit dem bist du aufgewachsen, ihr kennt euch, wart zusammen auf Tour und macht Scheiss zusammen…, aber du holst dir lieber einen aus dem Ausland, bevor du bei dem anklingelst?" "Glaubst du echt, dass er das macht?" war meine Antwort. "Dann frag ihn halt!" Peavy war Feuer und Flamme. Ich bin megastolz darauf und finde die Zusammenarbeit den Hammer. Und fragst du mich jetzt nach Seeb, das wird wahrscheinlich deine nächste Frage sein (lacht). Könnte ich mir vorstellen…, er hat sich ein bisschen gebrüstet und meinte: "Siehst du, geht doch!" Nun ja, jetzt haben wir eine alte Metal-Ikone, jetzt fehlt nur noch eine Junge und Moderne. "Vom wem sprichst du denn jetzt?", wollte er wissen. "Stell doch keine dumme Frage, wenn du darauf keine dumme Antwort kriegen willst" (lacht). Aus einem ganz speziellen Grund ist dies für mich so genial. Beide Parts passen wie die Faust aufs Auge. Beide Teile sind wie prädestiniert für die beiden Sänger. Das ist phänomenal und macht mich unheimlich stolz, die Buben auf dem Album zu haben. «Wall Of Skulls» wäre auch so ein besonderes Album geworden für uns, aber mit den Gastbeiträgen ist es noch wie die berühmte Kirsche auf der Sahne. Mega!
MF: Du bist ein bekennender Fan von Bruce Dickinson. Wieso hat er den Vorzug erhalten und nicht Rob Halford, Dio oder Geoff Tate?
MF: «Number Of The Beast» erschien zum richtigen Moment und meine Antennen waren auf Empfang. Wenn ich mir den Vergleich zwischen dieser Scheibe und «British Steel» von Judas Priest ziehe, auch wenn das jahrestechnisch nicht hinhaut, dann klingt «British Steel» unheimlich überlegt, simpel und kopflastig. Priest waren schon immer aufs Wesentliche betont. Bei Maiden kommt diese Scheibe raus, alleine der Start von «Invaders»…, ab diesem Moment hats bei mir im Kopf ein paar Drähte verdreht (grinst). Dann fängt Bruce zu singen an…, das hat mich unheimlich begeistert. Bis ich Iron Maiden live gesehen habe, dauerte es aber noch ein paar Jahre. Ich sah dann leider, wie schlecht Sänger zum Teil auf der Bühne sind, im Vergleich zu ihren Platten. Maiden, denen war es scheissegal, ob am Tag davor oder danach ein Konzert war oder ist. Bruce geht auf die Bühne, liefert einfach ab und rennt herum wie eine abgestochene Sau. Du wirst lachen, ich habe sämtliche Bootlegs von denen. Die habe ich besser im Kopf als das, was auf Platte zu hören ist. Weil ich die Truppe live noch viel geiler fand. Machst du selber Musik, bleibt dies hängen. "Wow krass, der Typ kann auf der Bühne noch mehr!" Joe Elliot von Def Leppard mit «Pyromania». Für mich eine der Jahrhundert-Platten überhaupt. Weltklasse diese Scheibe. Wie Joe auf diesem Album schreit, ist phänomenal! Er hat das live aber nie so hingekriegt. Das ist bei Bruce anders. Sportlich auf der Bühne unterwegs und trotzdem singt er noch besser als auf Platte. Das hat mich sehr beeindruckt. Geoff Tate war für mich zu steril. «The Warning» und «Rage For Order» waren ohne Zweifel geniale Scheiben. Ich sah die Truppe damals bei Dio im Vorprogramm. Phänomenal, aber auch sehr klinisch. Bruce hat mich mehr berührt, und aus diesem Grund habe ich seine Platten zu Hause nachgesungen. «Number Of The Beast», «Piece Of Mind», «Powerslave» und «Somewhere In Time», meine Nachbarn und meine Mutter litten (lautes Lachen). "Andreas, hör jetzt endlich damit auf, ich kanns nicht mehr hören!" (lautes Lachen). Du müsstest echt mal meine Mutter fragen, wie oft sich sie «Caught Somewhere In Time» anhören musste und ich das daheim gejodelt habe. Ich weiss das heute noch, da geht die Türe auf und meine Mutter sagt: "Andreas! ICH KANNS NICHT MEHR HÖREN! (lautes Lachen). Geh doch zu denen und sing da!"
MF: Wieso habt ihr euch nie ein Maskottchen wie Eddie von Iron Maiden zugelegt?
Andy: Wir haben mit dem Totenkopf und den Hörnern was rein gebracht. Den Punkt haben wir ein Stückweit verpasst. Das ist immer die Frage. Braucht es sowas, und wollen das die Fans? Mit den dreizehn Scheiben sind wir auch schon eine gewisse Zeit zusammen unterwegs. Einige Trends und Strömungen hat man mit- und überlebt. Darin sind gewisse Dinge wichtig, und wenn man dies nicht hat, bist du nix. Es fehlte uns nicht ein Maskottchen, sondern eher ein Image. Nehmen wir Powerwolf und Sabaton, da weiss man, was man kriegt. Die rennen seit Jahren mit den gleichen Klamotten durch die Gegend. Hätte ich zweimal hintereinander die gleiche Hose angezogen, hätten mich die Fans in der Luft zerrissen (grinst). Wenn wir mal in unserer Karriere einen Fehler gemacht haben, dann den, dass wir nicht einen Punkt mit einem Image setzten. Maiden selber haben auch keines, bei ihnen war es die Bühne. Wir haben lange in kleinen Venues gespielt, da hätten wir nichts Grosses durch die Luft fliegen lassen können (grinst). Als Wiedererkennungswert ist es hilfreich, wenn die Truppe über die Fotos definiert werden kann. Wir trugen immer diese Thrash-Attitüde mit Jeans, Turnschuhen und T-Shirts nach aussen. Klar änderten wir dies ab, dass wir auf der Bühne mit ähnlichen Klamotten aufgetreten sind. Darum mussten wir uns über die Musik definieren.
MF: Was ihr immer gemacht habt und das bestens…
Andy: …dankeschön (grinst).
MF: Andy, danke für deine Zeit und das wie immer sehr lustige Gespräch.
Andy: Ich habe dich noch immer in meiner Skype-Liste, wer sollte dich ersetzen (lautes Lachen)? Vielen herzlichen Dank für alles, es war wie immer ein Fest mit dir. Pass auf dich auf, und wir sehen uns.