Produziert vom Grammy-Gewinner Dave Cobb, reduziert «Everest» alles auf pure Musikalität. Das Ergebnis ist ein Sound, der grösser, mutiger und emotionaler ist als alles, was die Band bisher gemacht hat. Man sollte sich die Entwicklung der Band bewusst machen: «Halestorm» (2009) war ein mutiges Debütalbum, das seine Wurzeln im Hard Rock hat und sich durch Post Grunge Einflüsse, kraftvolle Riffs und Lzzy Hales beeindruckende Stimme auszeichnet. «The Strange Case Of...» (2012) dann härter und schneller, mit Alternative Metal Einflüssen, aber ohne Abstriche bei den melodischen Hooks. Das Album brachte der Band einen Grammy ein.
«Into The Wild Life» (2015) erscheint als eine Hinwendung zu modernem Alternative Rock und Pop Rock mit ausgefeilter Produktion und bluesigen Einflüssen. «Vicious» (2018) Rückkehr zum rohen, ungeschliffenen Hard Rock, der die frühe Rauheit mit moderner Härte ausgleicht. «Back From The Dead» (2022): dunkler, schlanker, mit modernen Metal-Einflüssen und trotzigen, kathartischen Themen. Und jetzt, heute «Everest» (2025), ihr epischstes und vielschichtigstes Album, das Hard Rock mit Arena-Metal und cineastischer Breite verbindet.
Vom donnernden Opener «Fallen Star» , dem epischen wunderschönen Titelsong über die feurige, feministische Hymne «Watch Out!» bis hin zum groovigen «K-I-L-L-I-N-G» strahlt jeder Track eine Energie aus, die ein ganzes Stadion füllen könnte. Die Riffs von Joe Hottinger sind scharf und kraftvoll, die Rhythmus-Gruppe mit Arejay Hale sowie Josh Smith schlägt ein wie eine Lawine, und darüber thront Lzzy Hales Stimme, die mühelos von samtiger Zärtlichkeit zu voller Kraft wechselt. Es ist ein Album, das Selbstbewusstsein und Seele, Wut und Zerbrechlichkeit in Einklang bringt und dabei gewinnt.
Es sind zahlreiche Highlights auszumachen: «Like A Woman Can» verbindet rauchigen Soul mit Halestorms charakteristischem Hard Rock Biss, während «Rain Your Blood On Me» episches, Dio-artiges Drama kanalisiert. Der Titeltrack ist ein Statement, das die Metapher der Everest-Besteigung nutzt, um Ausdauer und den Preis von Ambitionen zu erforschen. Tiefe Verletzlichkeit findet sich auch in «Broken Doll» und «How Will You Remember Me?», in denen Lzzy mit Entschlossenheit und Anmut über ihr Vermächtnis nachdenkt.
Die visuelle Präsentation des Albums verstärkt seine thematische Tiefe und gefällt mir ausserordentlich gut. Das Cover stammt von "Welder Wings", welche auch schon mal für ein überaus cooles Tool Konzert Poster verantwortlich waren. Es zeigt eine karge, eisige Berglandschaft in Blau- und Weisstönen, Symbol für Isolation und den Reiz des Aufstiegs. Dahinter lauert ein riesiger, dämonenhafter Schatten, der sich majestätisch hinter den Gipfeln hebt. Im Vordergrund ist eine nackte, verletzlich wirkende Figur im Schnee zu sehen.
Ein starker Kontrast, der Triumph wie Gefahr, Schönheit und Ausgeliefertsein in einem einzigen Bild vereint. Diese kraftvolle Metapher verkörpert die Kernbotschaft von «Everest»: Der Weg zum Gipfel ist atemberaubend, gefährlich und jeden Schritt wert. So wie das Bild den Blick fesselt und in seine gefrorene Welt zieht, tauchen die Songs den Zuhörer in Halestorms bislang persönlichstes, respektive kompromisslosestes Werk ein.
Was «Everest» auszeichnet, ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ohne dabei die Identität der Band aus den Augen zu verlieren. Der Sound ist stellenweise schwerer, an anderen Stellen epischer, und die Songtexte tauchen tiefer denn je in persönliche Wahrheiten ein. «Everest» ist eines dieser seltenen Alben, die sich wie eine Wiedergeburt und ein Höhepunkt zugleich anfühlen. Sie beweisen, dass Halestorm kein Interesse daran haben, sich auf ihren bisherigen Erfolgen auszuruhen.
Es wird sicherlich auf Dauerschlaufe auf meinem "The Rock" Vinyl-Spieler laufen. Nach einer Europa-Tournee mit Iron Maiden und einem Auftritt bei Ozzy Osbournes Abschieds-Konzert im Rahmen von "Back To The Beginning" bringen Halestorm diese neue Ära nun auch live auf die Bühne. Schweizer Fans können das am 9.11.2025 im Komplex 457 in Zürich erleben. Ich werde dann in erster Reihe den Sagarmāthā (Stirn des Himmels) musikalisch mitbesteigen, hoffentlich mit Euch.
Lukas R.