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"...Wenn wir dieses Tuning bei Grave Digger machen, dann wären die Leute direkt wieder so was von angepisst und der Meinung, dass dies nicht mehr nach Grave Digger klingt..."
Was macht man, wenn die Corona-Krise anhält? Genau, die T-Shirts im Schrank ausmisten und für neue Platz machen. Die CDs im Gestell endlich wieder sortieren nach ABC und Jahrgang. Oder man pflanzt endlich seine Rosen und schnipselt an den Bonsais herum? Es gäbe da verschiedene Möglichkeiten. Was macht aber eine etablierte Truppe wie Grave Digger, beziehungsweise deren Bandgründer und Sänger Chris Boltendahl? Neue Lieder für Grave Digger schreiben? Die Tournee erneut verschieben? Nein, Onkel Reaper macht das, was ihm schon lange im Kopf herum schwirrt und gründet eine neue Truppe. Hellryder sollen zukünftig neben Grave Digger bestehen, wobei Grave Digger aber immer die Nummer 1 bleiben wird und am Legenden-Status der Band nicht gekratzt werden will. Wie es dazu kam, erzählten der Sänger und Gitarrist Axel Ritt, der ebenfalls bei Grave Digger in die Saiten greift. Bühne frei und Vorhang auf für Hellryder!
MF: Wie lange schon schwirrte die Idee von Hellryder bei euch in den Köpfen herum, respektive wolltet ihr sowas in der Art schon immer machen?
Chris: Kommt drauf an, wie du "immer" definierst. Immer nicht, aber die Idee entstand eigentlich 2017. Wir coverten auf der «Ballads Of A Hangman»-Scheibe «Overkill» von Motörhead, und auf der «Return Of The Reaper» wie der «Exhumation» standen noch jeweils ein Lied, die sich in die Motörhead-Richtung orientierten. Daraus entstand bei Axel und mir die Idee, so ein Motörhead orientiertes Projekt zu starten. Was folgte, war Termin auf Termin, und so blieb die Idee eine Idee. Der Bandname und das Logo standen zu der Zeit schon. Jetzt während der Pandemie sagten wir: "Komm, lass uns starten!" (grinst).
Axel: Genau so wars. Die Idee dazu hatten wir beide gleichzeitig. Die Motörhead lastigen Songs gefielen uns sehr gut. Chris Stimme leistete dieser Idee Vorschub. Er ist von seiner natürlichen Stimme her und seiner Fähigkeit, Lemmy interpretieren zu können, prädestiniert zu solchen Liedern. Würden wir etwas in Richtung Nightwish machen…
Chris: …oder Dream Theater…
Axel: …wären beides sehr schöne Ideen gewesen (grinst). Beides hätte aber nicht zu seiner natürlichen Art des Gesanges gepasst. Wir mussten nur auf den richtigen Zeitpunkt warten. Im September 2020 begann das Songwriting. Das hat schnell gefruchtet. Von Beginn weg war uns klar, dass es kein Projekt sein soll, sondern eine richtige Band. Aus diesem Grund vervollständigen Steven Wussow, der mit mir zusammen bei Domain spielte und Timmi Breideband, den wir beide von verschiedenen anderen Aktivitäten kannten, Hellryder. Chris kannte Timmi von der…
Chris: …«Bonfire And Friends»-Tour…
Axel: …da habe ich mir auch eine Show angesehen und war total begeistert von seinen optischen wie akustischen Fähigkeiten. So hat sich die Band relativ schnell gefunden.
MF: War es von Beginn weg klar, dass diese beiden ein Teil der Band sein werden oder gab es noch weitere Kandidaten?
Axel (lachend): Ich kontaktierte beide. Timmi erklärte ich, was wir machen wollten und ich musste den Satz nicht zu Ende sprechen, da sagte er schon zu. Er war total begeistert. Wir alle sind momentan ziemlich ausgehungert was den Live-Bereich angeht. Da ist eine solche Truppe ein zusätzlicher Motivationsschub, was Neues zu machen. Timmi sah Grave Digger zum ersten Mal in Belgien, als wir zusammen mit Bonfire spielten. Er stellte sich vor und sagte damals: "Wenn ihr was plant, sagt Bescheid, ich würde gerne was mit euch auf die Beine stellen". Bei Steven war es so, dass er die Musik klasse fand, aber keine Zeit für eine Truppe hätte. Ich liess ihm vier Wochen Zeit und fragte nach: "Ich würde es sehr gerne machen, aber ich habe viel zu viel um die Ohren!", war seine erneute Antwort. Ich wartete nochmals vier Wochen ab, rief ihn an und meinte: "Jetzt wird nicht mehr gefragt, sondern eine Order ausgesprochen, du bist dabei und Feierabend!" (grinst). Er hat es bis heute nicht bereut, hat einen Heidenspass, aber ist halt Franke, und Franken darf man nicht fragen, sondern sagen was los ist (grinst).
MF: Wie kam es zum Bandnamen Hellryder?
Chris: Martin, du erinnerst dich, dass ich bei The Fyredogs sang. Ich wollte mit den Jungs weiter musizieren, aber die kamen überhaupt nicht aus den "Pötten". Hellryder wurde aus diesem Grund nicht mit "I", sondern mit einem "Y" geschrieben, ähnlich wie bei The Fyredogs. Die Verbindung zu Grave Digger ist die Schrift. Musikalisch sind die beiden Truppen klar getrennt. Wobei, das sehen einige Leute auf Facebook schon wieder anders (grinst). "Mann, das könnt ihr doch unter Grave Digger veröffentlichen, ist eh das Gleiche!". Naja… (grinst).
Axel: Ausser Chris Stimme ist alles anders (lacht). Wenn Chris den Mund aufmacht, dann ist es nun mal Grave Digger.
MF: Das Interessante ist ja, dass du mir Chris bei einem der letzten Interviews zu «The Living Dead» gesagt hattest, dass es nichts gibt, was ihr mit Grave Digger nicht machen könnt…
Chris: ...klar, wir können alles machen.
MF: Wieso kommt jetzt trotzdem eine neue Band dazu, wenn ihr euch mit Grave Digger keine Grenzen setzt?
Chris (lachend): Weil wir keinen Bock mehr auf weitere Shitstorms haben. Das Ganze ist so konzipiert, dass wir alles was wir nicht mit Grave Digger machen wollen zu Hellryder wird. Da gibt es Pläne, und im Spätherbst werden wir noch was Spezielles veröffentlichen. Mit Grave Digger werden wir nur noch Konzeptalben komponieren. Bis die Lunte abgebrannt ist und die Rente oder die Holzkiste ruft (grinst). Die Konzepte stehen Grave Digger auch am besten zu Gesicht.
Axel: Man muss auch den Grave Digger-Fan verstehen. Die Leute haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie ein Grave Digger-Song zu klingen hat. Es gab zwei, bis drei unterschiedliche Episoden, wie die Truppe in der Vergangenheit klang. Zwischen diesen drei Bereichen darfst du dich für den Fan bewegen. Wenn du da rechts und links ausscherst und als Künstler denkst: "Das wäre jetzt eine ganz tolle Idee", dann erzeugt das bei einigen Fans immer wieder Fragezeichen. Bei Hellryder spiele ich völlig andere Instrumente. Die sind fünf Halbtöne tiefer gestimmt. Wenn wir dieses Tuning bei Grave Digger machen, dann wären die Leute direkt wieder so was von angepisst und der Meinung, dass dies nicht mehr nach Grave Digger klingt. Oder wenn die Gesangslinien von Chris nicht mit diesen fetten Chören ausgestattet sind, dann sind es eh nicht mehr Grave Digger. Auf der einen Seite ist das ganz toll, wenn man einen solchen Stil hat und die Leute dies auch so wahr nehmen. Auf der anderen Seite hast du beim Komponieren immer das Messer am Hals und schaust, dass du als kreativer Kopf immer das lieferst, was die Fans von dir erwarten. Da Chris und ich ein recht kreatives Gespann sind, bei denen viele Ideen raus fliessen, die wir persönlich klasse finden, aber nicht unbedingt zu Grave Digger passen. Wir stehen beide auf dieses punkige und Motörhead lastige, diesen Rock'n'Roll, den wir nun in ein Metal-Gewand verpacken. Mit zwei Truppen können wir nur gewinnen und es endlich jedem recht machen.
MF: Dann kann man zusammengefasst sagen, Grave Digger bleiben Grave Digger mit vielen Chören und dem typischen Teutonen-Metal, und Hellryder werden eher in die Motörhead-, Rock'n'Roll- und Punk-Richtung gehen?
Axel: Finde ich eine ganz gute Zusammenfassung. Wir geniessen es momentan mit Hellryder keine Erwartungshaltung erfüllen zu müssen. Wir schauen was möglich ist, und wenn alle vier "Hurra!" schreien, dann setzen wir um. Es gibt noch keine Situation, bei der jemand sagte, das passe nicht. Weil wir inmitten davon sind, alles zu einem Konzept umzusetzen. Das bereitet einen Heidenspass, und wir können extrem locker auftreten. Es kann durchaus sein, dass wir noch ein paar andere Dinge ausprobieren, aber da möchte ich noch nicht zu viel vorneweg nehmen. Das wird sehr geil werden (lacht).
MF: Könnt ihr euch vorstellen eine Grave Digger Headliner-Tour zu machen und mit Hellryder den Support zu bestreiten?
Chris: Genau, da mache ich dann eine Show mit und dann kannst du mich in die Kiste legen. Der Hellryder-Kram ist sehr aggressiv gesungen. Das ist kein Kindergeburtstag. 60 oder 65 Minuten-Shows verlangen mir mehr ab, als 90 Minuten Grave Digger. Der längste Song bei Hellryder dauert 4:10 Minuten. Dann kommt «Hellryder» mit 3:29 Min. und der Rest ist unter drei Minuten. Allerdings mit relativ viel Gesang. Das ist anstrengend. Da stelle ich mich nach einer Hellryder-Show nicht nochmals 100 Minuten mit Grave Digger auf die Bühne (lacht). Das mache ich einmal, und das wars dann auch. Eine Show und drei Tage frei, das kann dir aber niemand bezahlen. Wir stellen die beiden Bands nicht in eine direkte Konkurrenz zueinander. Grave Digger besitzen die absolute Priorität! Klar kamen auch Fragen auf wie: "Was ist mit Jens (Becker, Bassist bei Grave Digger), wieso spielt er nicht bei Hellryder"? Ganz einfach, weil Hellryder Hellryder sind und Grave Digger eben Grave Digger. Jens ist der Bassist bei Grave Digger. Das wird er auch bis zu seiner Rente bleiben, weil er ein verdammt guter Bassist ist. Hellryder benötigen einen anderen Bassmann. Axel und ich können uns total glücklich schätzen, dass wir je zwei super Musiker neben uns haben, bei Grave Digger und Hellryder. Wir spielen mit der «Crème de la crème» der deutschen Schlagzeug- und Bass-Elite zusammen.
Axel: Absolut! Die jeweiligen Musiker sind auch sehr unterschiedlich. Das ist sehr interessant und man erhält so neue Ideen und Inspirationen. Grave Digger sind eine eingespielte Maschine, die läuft. Als wir letztes Jahr diese eine Show in der Schweiz spielten, da haben wir uns vorher Monate lang nicht gesehen. Alle waren angespannt wegen der Corona-Geschichte. Da stehen wir vier auf der Bühne, es macht klick, die Maschine ist angeschmissen und alles läuft wie am Schnürchen. So, als würden wir gerade von einer mehrwöchigen Europa-Tournee kommen. Das ist ein grosser Vorteil, und das verleiht der Band eine unglaubliche Sicherheit. Jetzt spielt man mit zwei neuen Leuten in einer Band und die stellen jeweils Fragen, welche du seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört hast, bei der du zuerst denkst: "Was soll das?" und beim Nachdenken sich dann fragt: "Wieso habe ich das noch nie so gesehen?" Das kann sehr inspirierend sein. Speziell Timmi, der mit seinen knapp Endzwanzig so viele Hummeln im Arsch hat…, das ist für mich wie eine Zeitreise, als ich in seinem Alter war. Es ist schön zu sehen, wie viel Energie und Spass er hat.
"...Ihr werdet von Hellryder noch viel hören, spätestens, wenn wir im Herbst mit einer Überraschung an die Öffentlichkeit gehen werden..."
MF: Welche Erwartungen verfolgt ihr mit der Band Hellryder?
Chris: In erster Linie, dass wir Spass haben. Zudem konnten wir die erste Zeit der Pandemie (lacht) sinnvoll nutzen. Sollte die Band keinen Erfolg haben, dann hatten wir zumindest eine gute Zeit. Aber ich bin mir sicher, dass die Band Anklang finden wird. Die Platte ist stark, und wir haben als Video gleich den härtesten Track veröffentlicht. Es gibt noch viel mehr melodiösen Stoff zu hören. Die Motörhead-Leute werden schön auf ihre Kosten kommen (grinst). Ihr werdet von Hellryder noch viel hören, spätestens, wenn wir im Herbst mit einer Überraschung an die Öffentlichkeit gehen werden (grinst), an der wir gerade arbeiten.
Axel: Die Erwartung bei mir sieht so aus…, dass der Fokus aller Bands aktuell auf dem Live-Sektor liegt, rein aus wirtschaftlichen Gründen. Bei dieser Truppe bin ich extrem auf die Live-Shows fixiert, weil wir mit Timmi und Steven zwei wirklich dermassen grosse Hardrock-Poser in der Band haben. Livemässig…, wenn du diesen Affen-Verein siehst, die Chris den Rücken frei halten…, das wird optisch wirklich sehr geil aussehen.
Chris: Wir werden in eine andere Rolle springen. Du hast die Bilder mit den Anzügen gesehen? Das wird auf der Bühne nochmals eine ganz andere Präsentation sein. Alleine durch diese Anzüge bewegst du dich anders auf der Stage. Es wird richtig spassig und man wird mit Hellryder einen ganz anderen Chris Boltendahl sehen. Das ist spannend und eine völlig neue Herausforderung für mich. Der Tom Waits des Heavy Metals. Das wird sich von Grave Digger ziemlich stark abheben.
Axel: Das war uns von Anfang an sehr wichtig. Wir wollten nicht die hunderttausendste Metal Band mit den typischen Metal-Klamotten sein. Das "Denim and Leather»-Ding besetzen andere sehr gute Combos schon. Fürs Video war die Anzugs-Geschichte schnell klar. Daraus entstand die Idee, dies auch auf der Bühne umzusetzen. Alleine, dass ein Anzug anders geschnitten ist, werde ich meinen Spreizschritt vermeiden (grinst). Das muss anders passieren, sonst habe ich schon den ersten Lacher auf meiner Seite (grinst).
MF: Wie kams zu dieser Mafiosi Anzugs-Geschichte…
Chris: …die Abgesandten der Hölle (grinst). Die Erzengel mit viel Feuer und Sonnenbrillen, weil es so hell ist in der Hölle. Schau dir die Promo-Fotos an, wir sehen aus wie die Erzengel der Apokalypse. Das wäre übrigens ein geiler Titel fürs nächste Album (lacht).
Axel: Dieses Diametrale zwischen der Optik und der Musik. Die Kleidung vermittelt eine gewisse Seriosität. Mit den langen Haaren hast du schon den ersten Gegenpol. Spätestens mit der Musik…, jemand der den Sound hört, erwartet eine andere Optik und jemand der unsere Fotos sieht, erwartet eine andere Musik. Genau das finde ich sehr spannend. Klar gab es schon Hard Rock und Metal mit Anzügen, aber so richtig durchgezogen hat das noch keiner. Okay, vielleicht bin ich da auch nicht auf dem aktuellen Stand (grinst). Es ist wirklich unbequem in einem Sakko zu spielen. Von der Hitze auf der Bühne will ich schon gar nicht sprechen. Für den Entertainer-Charakter bin ich gerne bereit, diese "Belastung" auf mich zu nehmen.
MF: Dann kann man euch somit weiterhin viel Spass mit Hellryder und auch Grave Digger wünschen, auf dass das Virus bald sein Ende findet, ihr mit dem Spielen starten könnt und auf jeden Fall gesund bleibt!
Chris: Danke dir Martin, bleib auch gesund…
Axel: …und auf bald.