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26. Oktober 2023, Zürich - Komplex 457
Text & Pics by Oliver H.
Vier ganze Jahre sind vergangen, seit ich Amorphis das letzte Mal im Z7 gesehen habe. Nicht, dass sie in der Zwischenzeit die Schweiz gemieden hätten, ich war schlichtweg verhindert. Umso grösser war die Freude, sie beim Auftakt zu ihrer aktuellen «Halo» Europa-Tournee im Komplex 457 erleben zu dürfen. Bei strömendem Regen und einer schier endlosen Odyssee durch die Stadt erreichte ich schliesslich die Location. Tomi Koivusaari hatte gerade sein Abendessen beendet, als der Tour-Manager mich zu sich rief. Der noch leere Veranstaltungsort, ein fabrikähnliches Gebäude, sah ziemlich ausladend aus, um ehrlich zu sein. Das sollte sich allerdings innert Kürze ändern. So startete also dieser Abend zuerst mit einem Interview und endete mit einer geballten Ladung nordischer Live-Power!
Lost Society
Die "Jungspunde" von Lost Society machten den Anfang. Ich kannte den finnischen Vierer bis dato nicht, der mit thrashigem Metal angefangen und sich nun zu einer Modern Metal Band gewandelt hat. Seitdem wächst ihr Status und die Zahl der Anhänger(innen) kontinuierlich. Ihr Sound und ihre Bühnen-Präsenz waren von Beginn an energiegeladen. Auch ihr Tatendrang und ihr Auftreten waren mehr als überzeugend. Sie wirbelten auf der kleinen Bühne herum, und der Sänger Samy Elbanna trat soweit an den Bühnenrand vor, dass man zeitweise nicht wusste, ob er gar noch in den Graben fällt. Die Band wusste ihre Fangemeinde definitiv zu begeistern. Auch wenn das Set kurz ausfiel, war es intensiv und voller roher Energie. Mit Songs wie «Awake», «What Have I Done» und «112» aus ihrem neuesten Album «If The Sky Came Down» trafen sie grösstenteils den Nerv des Publikums. Man spürte aber mit der zunehmenden Masse, dass dieses wegen einer anderen Truppe angereist war. Dennoch lieferten Lost Society einen tollen Gig ab, der ihren Fans mit Sicherheit gefallen hat.
Sólstafir
Nach der finnischen Adrenalin-Spritze folgte die beinahe stoische "Ruhe" aus Island. Es war an der Zeit, etwas ruhiger zu werden. Ohne Zweifel sind Sólstafir Islands älteste Referenz in Sachen Metal. Ich kannte ihre Musik nur vom Band und war nun gespannt, wie das Ganze live so rüber kommt. Ihr Set, bestehend aus gerade mal sechs Songs, die doch eine Spielzeit von gut einer Stunde erreichten, begann mit einem sehr folkigen Intro, das sich im Verlauf ihrer Show zu einem psychodelischen Sturm entwickelte. Songs wie «Dagmál» und «Akkeri» brachten das Post Rock Feeling zum Vorschein, für das die Truppe stets ein Händchen hatte. Im Gegensatz zum einsatzfreudigen Opener war ihre Bühnen-Präsenz sehr einfach, kam aber auf den Punkt. Sólstafir’s einziger Fokus schien darin zu bestehen, auf der Bühne hart und laut abzurocken. Letzteres wurde gegen Schluss leider zu sehr zelebriert, was sehr auf Kosten der Qualität ging. Das restliche Set bestand aus «Ör», «Fjara», «Ótta» und «God», das einen minimalistischeren Ansatz für harte Musik verfolgte, dennoch ziemlich explosiv und überraschend war. Ihre Live-Show war ein in Dunkelheit gespieltes Kunstwerk, das durch die Bewegungen des Quartetts um Aðalbjörn Tryggvason seinen Höhepunkt erreichte. Wenn man nach Sólstafir’s Abgang in die Gesichter der Zuschauer blickte, wurde schnell klar, dass dieser Auftritt nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen ist. Setliste: «Dagmál» - «Akkeri» - «Ör» - «Fjara» - «Ótta» - «God»
Amorphis
Trotz der emotionalen Achterbahnfahrt im Vorfeld gehörte die ganze Aufmerksamkeit an diesem Abend dem Headliner. Der Sechser aus Helsinki, der seit 1990, stets im Wandel, sein Unwesen treibt, spielte professionell und energiegeladen auf. Mit «Northwards» demonstrierte die Band, wie ausgefeilt und einheitlich ihr Sound seit der Veröffentlichung von «Under The Red Cloud» geworden ist. «Bad Blood», vom eben besagten Album, folgte darauf und «The Moon» aus ihrem neuesten Werk «Halo» schloss die Eröffnungs-Triplette. Da dies die allererste Show der Tour war, klang die Band frisch, spielfreudig und sehr energiegeladen. Dann folgte bereits meine Amorphis-Viertelstunde mit den Krachern aus dem Hammer-Album «Tales From The Thousand Lakes» (1994). Was mich doch sehr überraschte, war die Tatsache, dass die Finnen die drei Songs am Block durchzogen und sogar «Black Winter Day» nicht mehr als Zugabe warm gehalten wurde, wie dem auch sei. Ich genoss, mit vielen anderen zusammen, eine wunderbare Reise in die Vergangenheit zu einer ihrer herausragendsten Platten in deren 30-jähriger Karriere.
Tracks aus «Skyforger» (2009) sorgten für eine Mitsing-Phase, und die melancholischeren Töne trieben einigen Zuschauern Tränen in die Augen. «Queen Of Time» bot eine weitere Plattform für ausgeklügelte Metal-Songs à la Amorphis. Die Band schien euphorisch und völlig auf Adrenalin, wobei Tomi Joutsen etwas den Eindruck erweckte, als müsse er sich, zum Tourstart, vor so vielen Augen noch ein wenig verstecken. Die Show endete nach guten achtzig Minuten, für meinen Geschmack etwas gar früh, und man hatte das Gefühl, dass noch zwei bis drei Songs mehr drin gewesen wären. Allerdings war dies dem Publikum egal, denn zu «House Of Sleep» und «The Bee» konnte die Menge noch einmal alles geben und aus vollen Kehlen mitgröhlen. Amorphis lieferten insgesamt, auch lichttechnisch und mit Spezialeffekten, eine fantastische Show voller Klassiker, Fan-Favoriten und neuer Songs ab, die die Karriere dieser finnischen Truppe widerspiegelten. Beim Ausklingen der Musik suchten einige noch nach Plektren am Fussboden, die von der Band, unter dem tosenden Applaus, in die Menge geschleudert wurden. Schön wars!
Setliste: «Northwards» - «Bad Blood» - «The Moon» - «Thousand Lakes» - «Into Hiding» - «Black Winter Day» - «Silver Bride» - «Sky Is Mine» - «Wrong Direction» - «Amongst Stars» - «Seven Roads» - «On The Dark Waters» - «My Kantele» - «House Of Sleep» - «The Bee»