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16. Januar 2025, Pratteln - Z7
Text & Pics by Oliver H.
Motocultor Across Europe - so der Name der Tour, die fünf Bands an einem Abend versammelt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Z7 in Pratteln bot allen Formationen Asyl, um beim Publikum den Nachweihnachtsblues mit Stil zu vertreiben. Der Konzertabend brachte Infected Rain, Semblant, Elyose, Miruthan und Skin On Flesh zusammen, die einen Rock'n'Roll-Zirkus darboten, damit wirklich für jeden etwas dabei war - junge Talente trafen auf etablierte Acts, Punk traf auf Metal, Industrial auf Symphonic! Vielleicht war aber auch dies gerade der Haken an der Sache, denn die Lokalität hätte locker noch viermal so viele Personen aufgenommen, wie bereits da waren. Für die Acts war dies aber kein Grund Trübsal zu blasen, denn in den wenigen Stunden, die folgten, konnten sie wirklich zeigen, was sie zu bieten haben. So spielte jede (Vor)Band ein eher knappes Set, das ihr bestes und neuestes Material umfasste. Dies funktionierte gut, denn diejenigen Fans, die da waren, hatten echt Bock auf ein hautnahes und persönliches Konzerterlebnis.
Skin On Flesh
Skin On Flesh durften als erste Band des Abends ran. Die Punker, um Gründungsmitglieder Michiel Sybers und Laura Jiménez, begannen während der Pandemie 2020 in Berlin gemeinsam Musik zu schreiben, nachdem andere Projekte pausiert wurden. Die Geschichten voller Traumata und Frustration, komponiert mit lauten Gitarren und intensivem Gesang auf Englisch und Spanisch, durfte das Publikum nun in reinster Form geniessen. Etliche Leute strömten noch immer von der Strasse herein, als Skin On Flesh längst die Bühne mit ihrem pulsierenden und bösartigen Set geentert hatten. Die junge Berliner Truppe hatte eine ungezähmte Energie, befeuert von der Jugend und der Leidenschaft, in der Welt da draussen wahrgenommen zu werden. Ihr Charme zog das Publikum in seinen Bann, das gekommen war, um für ein paar Stunden dem Alltag zu entfliehen.
Mit ihren auffallend grünen Haaren war Sängerin Laura Jiménez der Wirbelwind auf der Bühne. Während sie «You'll See Me» anstimmte, griffen ihr Mitbegründer Sybers und der Rest der Band mit ungezügelter musikalischer Leidenschaft unter die Arme. Ihr Sound war gespickt mit Punk-Pop-Krachern wie «Ur Cute Let's Hang», «Para Mi» und «Terrible And Sad», die entweder in englischer oder spanischer Sprache vorgetragen wurden. Ihr Arsenal war gespickt mit offensichtlichem Crossover-Appeal, das sie in ferner Zukunft wohl weiter nach vorne bringen wird. Nach 30 Minuten war Schluss, denn der Abend hatte schliesslich erst begonnen.
Miruthan
Mit Miruthan aus Australien wurde blitzschnell eine ganz andere Stimmung geschaffen. Die Atmosphäre bei ihrem Auftritt könnte man als theatralisch bezeichnen. In der Ausführung heisst das, sie brachten ihre schweren Blackened Death-Nummern verhüllt und maskiert, mit mehr als einem Hauch von Ritual. Das ganze Spektakel war so dunkel und dick wie Sirup. In dieser schaurigen Saga war der Zombie-Halbgott Nzambi die zentrale Figur. Er war das Superhirn, das die Rhythmusgitarre bediente und nach Möglichkeit seine Sprechstimme entfesselte, die die Qualen der trostlosen Welt widerspiegeln sollten. Im Gegensatz dazu stand Mvumbi, bekannt als Ghost, mit seinem eindringlichen Gesang im Vordergrund und lockte die Zuhörer in die Abgründe der Untoten. Er umarmte die Dunkelheit und wurde eins mit dem Zombie. Der Priest trug mit seiner Folklore mit vertrackten Gitarrensoli und Melodien, die die Seele zu durchbohren schienen, zur eindringlichen Atmosphäre der Musik bei.
Priestess war für die Chorgesänge verantwortlich und fügte mit ihrer eigenen Bibelleseshow, sehr zur Mystik der Band bei, die sich visuell stets an die düstere Erzählung anpasste. Doch neben all dem schwarzgefärbten und akustischen Sperrfeuer aus heulenden Gitarren und gegröltem Gesang, gab es doch noch eine Prise Humor, die mit der explosiven Natur des Materials einhergeht. Anführer Nzambi wies darauf hin, dass sie auch Merchandise verkaufen würden, und ermutigte die Leute, etwas davon einzupacken. Sie wüssten sonst nicht, wie sie sich die teuren Flüge für den langen Heimweg leisten könnten. Es war also nicht alles ganz so böse, wie es rüberkommen sollte und nach einer halben Stunde Präsenzzeit durften auch Miruthan ihren Platz für die Nummer drei des Abends räumen.
Elyose
Die Gothic Industrial Metaller Elyose brachten schliesslich einen Hauch von raffinierter französischer Klasse in die Konzertstätte. Die sirenenhafte Präsenz und die Stimme von Sängerin Justine Daaé strahlten Glamour und Kraft in einem aus. Mit den gewaltigen Riffs des stets kinetischen Anthony "Chon" Chognard und den treibenden Drums fingen sie etwas von der Atmosphäre eines verwahrlosten Lagerhauses ein, denn die Bühne war zum Zeitpunkt ihres Auftritts ziemlich leergeräumt. Als man den Bewegungsdrang des Gitarristen sah, war schliesslich allen klar warum. Der französische Glamour hielt aber nicht sehr lange, denn kurz nachdem die Sängerin bekannt gab, dass dieser Gig gefilmt werde, machte die Technik halbwegs schlapp. Die Sängerin war sehr verunsichert, da sie sich selber nicht mehr hören konnte.
Auch der Wechsel zu einem anderen Mikrofon brachte nicht die erhoffte Lösung und so stand sie schliesslich verloren am Bühnenrand und entschuldigte sich ununterbrochen beim Publikum mit dem Satz, dass sie ihre eigene Stimme nicht hören könne. Sie tat einem schon fast leid und manch einer hätte sich wohl gewünscht, dass man die gute Frau von der Bühne geholt hätte. Ihre Entschuldigungen wären nämlich gar nicht nötig gewesen, denn das, was aus den Lautsprechern rauskam, war wirklich gut. Hätte sie nichts gesagt, hätte es vermutlich niemand bemerkt. So wurde der Auftritt von Elyose zu einem französischen Theater, das nach ebenfalls dreissig Minuten ein eher unrühmliches Ende fand. Die Fans waren allerdings gnädig und klatschten anständig Beifall, als der Dreier sich von der Bühne verabschiedete. Hoffen wir, dass die Technik und Justine Daaé während der weiteren Tour wieder zu ihrer alten Stärke gefunden haben!
Semblant
Nach diesem etwas durchzogenen Intermezzo konnten die Brasilianer Semblant die Gunst der Stunde nutzen und den rohen Geist des Metals sprechen lassen. Ab dem ersten Ton war es eine Adrenalinspritze für die Sinne! Die musikalische Brutalität wurde perfekt mit erhabenen Melodien und Refrains ausbalanciert. Zu Beginn stand Sergio Mazul mit der Band noch alleine auf der Bühne und knurrte seinen Gesang ins begeisterte Publikum. Tosender Applaus dann, als er, vor dem ersten Refrain, seine Duettpartnerin Mizuho Lin ankündigte, die mit ihrer glasklaren Stimme den perfekten Gegenpol markiert. Die beiden wechselten sich ständig ab, während die Sägearbeiten von Juliano Ribeiro (Gitarre) und Johann Piper (Bass) munter weitergingen.
Die Truppe um Gründer Mazul und Keyboarder J. Augusto brachten die Light-Version ihres symphonischen Death Metals gekonnt auf die Bühne. Spannend war auch das Zusammenspiel der beiden Singenden, die sich teils umgarnten, dann wieder wegstiessen, um später im Kollektiv zu headbangen. Das Kleid von Mizuho Lin liess allerdings kein zu ausgelassenes Headbanging zu, dafür war es obenrum eindeutig zu knapp bemessen. Anyway! Die Musik sprach für sich und dem Publikum gefiel, was es auf die Ohren bekam. Semblant haben sich in den letzten Jahren fleissig nach oben gearbeitet, was ihnen, mit 40 Minuten Spielzeit, einen etwas besseren Slot einbrachte. Ihr Set bestand zu einem Teil aus dem Erfolgsalbum «Lunar Manifesto», das aktuell zehn Jahre alt ist und zum anderen aus einer Auswahl von Songs, die aus den restlichen Veröffentlichungen stammen.
Ausgelassen und mit viel Spielfreude präsentierten sich die Südamerikaner an diesem Abend im Z7, und wer wegen ihnen da war, konnte sich spätestens bei den Hits «Mere Shadow» und «Enrage» nicht mehr zurückhalten, sondern musste die Masse in Bewegung bringen. Als ein lächelnder Mazul zum Ende noch versprach, dass Semblant bald wiederkommen würden, um ein Headliner-Set zu spielen, war die Stimmung geradezu grandios.
Infected Rain
Dennoch warteten die meisten Zuschauer auf den wirklichen Headliner in diesem Band-Paket - Infected Rain. Sie, die moldawischen Überflieger, waren darauf aus, die Bühne zu stürmen und in einen Hexenkessel aus kochenden Riffs und wehenden Dreadlocks zu verwandeln. So geschah dies dann auch, denn das Quartett gab während seines einstündigen Auftritts alles. Das treffend betitelte «The Realm Of Chaos» begann mit einer Rammstein-ähnlichen Industrial-Gitarre, die schnell in etwas viel Wilderes überging. Als Sängerin Lena Scissorhands (Elena Cataraga) die Bühne betrat, gab es kein Entrinnen mehr, vor der schieren Kraft, die im Z7 herrschte. Mit zähnefletschendem und ausweidendem Sperrfeuer prasselte ihr Sound nur so auf das Publikum ein.
Eigentlich hätte die Musik als solches schon gereicht, doch die beiden Videoleinwände, die eine schillernde Reihe von Bildern lieferte, die mit Ebbe und Flut der Musik übereinstimmen, machten das ganze Szenario noch berauschender. Ganz passend zu Lenas Energie und Frisur warf sich auch Gitarrist Vadim Ozhog, mit wenig Rücksicht auf seine eigene Sicherheit und die der anderen, durch die Gegend. Er schien von der Musik völlig besessen zu sein, während Bassistin Alice Lane Pandini und Schlagzeuger Eugene Voluta gleichermassen in der Musik eintauchten, jedoch etwas ruhiger an die Sache herangingen. Im Sound von Infected Rain spielt die Dynamik eine grosse Rolle. Der Wechsel zwischen gutturalem Gebrüll und himmelsstürmenden Cleanvocals zeigten beim grossartigen «Vivarium» deutlich, dass die Band mehr kann als stumpf loszuhämmern.
Das Publikum frass Lena aus der Hand. Ganz egal ob sie einen Circle-Pit, eine Wall Of Death forderte oder das Publikum bat, sich auf den Boden zu knien, es gehorchte. Sie tat dies mit so viel Charme, „alli abe? sagte sie auf schweizerdeutsch, dass man sich der Bitte kaum widersetzen konnte. Wer es dennoch tat, der wurde freundlich gebeten, zur eigenen Sicherheit, doch bitte an den Rand zu gehen, wonach alle Knieenden energiegeladen in die Höhe schossen. «The Answer Is You» und «The Earth Mantra» wurden zu Absichtserklärungen, die die dicht gedrängte Menge in ihren Bann zog, und das Gefühl der Gemeinschaft brach alle Barrieren, etwas, das sich die moldawischen Schwergewichte zu eigen gemacht haben.
Infected Rain sind momentan an Energie und Leidenschaft kaum zu überbieten und sie zeigen deutlich, dass die Zukunft des Metals heller leuchtet, denn je. Sie sind ein starker Faktor, der die metallische Fahne hochhält. Mag es noch so eine kalte und dunkle Nacht in Pratteln gewesen sein, im Inneren der Lokalität leuchtete ein moldawischer Stern, der viel Wärme ausstrahlte. Fantastisch!
Setliste: «The Realm Of Chaos» «Pandemonium» «Vivarium» «Fighter» «The Answer Is You» «Orphan Soul» «The Earth Mantra» «Dying Light» «Never To Return» Zugabe: «Because I Let You» «Sweet Sweet Lies»