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20. November 2023, Rubigen – Mühle Hunziken
Text & Pics by Oliver H. / Pic Désirée Mishoe by Daniel Strub (great-moments.ch)
Ganz erstaunt war ich, als zu lesen war, dass The Darkness die Mühle Hunziken beehren. Das Kultlokal ist zwar für diverse Musikstile bekannt, aber doch eher für die Berner Hipster-Generation. The Darkness feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Debüt von «Permission To Land», das ihnen seinerzeit zum grossen Durchbruch verholfen hat. Ich habe die Engländer schon einige Male live erleben dürfen, und sie haben stets abgeliefert. So war es also wieder Zeit für die Retter des Rocks, die Engländer mit dem charismatischen Sänger Justin Hawkins, zu zeigen, dass es ihnen auch nach zwanzig Jahren noch immer ernst ist – oder eben auch nicht. Im Vorfeld aber durfte die Singer/Songwriterin Désirée Mishoe sich erstmal ihre Sporen abverdienen und die Leute für den Abend anheizen. Wobei anheizen nicht zwingend notwendig war, denn beim Eintreten in die Lokalität musste man bereits aufpassen, dass man der Person im Eingangsbereich nicht die Tür in den Rücken rammte, denn es war voll – rappelvoll – ausverkauft!
Désirée Mishoe
Früher bekannt als May The Muse, ist Désirée Mishoe eine US-amerikanische sowie deutsch-dänische Singer-Songwriterin, die im deutsch-französischsprachigen Teil Ostbelgiens aufgewachsen ist. Verwirrung pur! Obwohl sie mit zwölf Jahren aus dem Chor geworfen wurde, weil ihre Stimme angeblich zu einzigartig war, hat sie die erfolgreich begonnene Modelkarriere geschmissen, um in die Musikbranche einzusteigen. Sie trat in der Mühle Hunziken nur mit einem Gitarristen an, der sie bei ihren Songs begleitete.
Die Künstlerin, gekleidet in edlem schwarz, brachte eine ganz bestimmte Atmosphäre nach Rubigen, die so gar nichts mit dem gemein hatte, das im Anschluss folgen sollte. 2023 war aber das Jahr, in dem sich Désirée von ihrem Alter Ego trennte und in eine mutigere, neue Phase ihrer Karriere eintrat. Unter eigenem Namen wagte sie sich in den Bereich Rock, Goth und Country vor, der aber stets irgendwie düster und bluesig blieb. Ein total verrauchter Jazz-Keller hätte ebenfalls optimal zu ihrer Performance gepasst. Wer sich aber bis heute fragt, wie sie als Stimmungs-Macherin für The Darkness an Bord gekommen ist – der Produzent ihrer neuen Platte heisst..., Justin Hawkins – voilà!
The Darkness
Die Band aus Lowestoft, Grossbritannien, hat sich mit ihrer charakteristischen Neuinterpretation des Glam Rock über die Jahre eine solide Fangemeinde aufgebaut, die gerne die Gelegenheit nutzte, gemeinsam mit der Band das bahnbrechende Debüt-Album «Permission To Land» zu feiern. Kurz vor 21:00 Uhr betrat der Hauptact die Bretter der Mühle Hunziken. Der Thin Lizzy Song «The Boys Are Back In Town» ertönte aus den Lautsprechern, die Lichter schalteten die Bühne auf Grün und die Bandmitglieder um Sänger Justin Hawkins betraten die Szenerie, um ihren Auftritt mit «Black Shuck» zu eröffnen. Allerdings bekamen einige Fans gleich zu Beginn ihr Fett weg, denn wer mit laufender Handykamera auf die Engländer wartete, wurde besonders überrascht. Hawkins stürmte auf die Bühne und kassierte unangekündigt die paar Handys ein, die gerade in Reichweite waren. Während der ganzen Show blieben die Telefone auf dem Schlagzeugpodest in Quarantäne.
Das Berner Publikum war voll mit dabei, die Fans – viele von ihnen alterten gemeinsam mit ihren Idolen in Würde – sangen aus vollem Halse mit, was den Sänger sichtlich erfreute. In seinem charakteristischen Spandex-Anzug, der nichts der Fantasie überliess, stolzierte er auf und ab, schnitt Grimassen und erfreute die Location mit seinem aussergewöhnlichen Falsett-Gesangsstil. Nach dem zweiten Song war dann jedem klar, dass dies keine gewöhnliche Rockshow werden würde. Die bis dahin ahnungslosen Konzert-Fotographen sollten ihren Anteil zu der Show beitragen. Justin fragte sie aus, von welchem Magazin sie seien, nahm ihnen die Kamera ab und fotografierte selber ins Publikum hinein. Besonders den Namen «Daily Rock» fand er ziemlich witzig. Hawkins wuschelte ihnen durchs Haar oder stützte sich gar auf ihren Köpfen ab.
Sie arbeiteten richtig für ihn und nach drei Songs waren sie wohl richtig froh, sich dieser Prozedur entziehen zu können, die sie vermutlich nicht so schnell vergessen werden. Justin Hawkins fiel auch in der Vergangenheit nie durch Gemeinheiten auf, sondern nach aussen hin als optimistischer Sonnenschein, der aber auch dunkle Zeiten (Suchtkrankheit und Depression) zu bewältigen hatte. Die Stimmung war hervorragend. Wie sollte das aber auch anders sein, bei einem so blendend aufgelegten Frontmann wie Justin Hawkins? Der grinste, schaute immer leicht irre und wollte einfach, dass absolut alle im Laden eine gute Zeit haben.
Zwischenzeitlich setzte sich der Sänger auch ans Klavier oder ein Crew-Mitglied durfte sich sogar eine Gitarre umhängen und in «Curse Of The Tollund Man» miteinstimmen. Wie ein kleines Kind freute sich Justin, als er ein gekapertes Fan-Handy, noch immer filmend, über seinen Hintern durch seine Boxershorts gleiten liess und es in der Kniekehle wieder in Empfang nahm. Die dreistöckige Lokalität hat es der Band besonders angetan, sodass sie jeweils in alle Himmelsrichtungen musizierten und auch den Singalong-Contest über drei Etagen veranstalteten. Einige Kids waren an diesem Abend auch anwesend. Bei ihnen entschuldigte sich Hawkins regelmässig, da er es mit der kindgerechten Sprache nicht so genau nahm. Spielte aber alles keine Rolle, denn sie verstanden den Engländer eh nicht.
Die Party war am Kochen, sodass auch der eher cool dreinblickende Gitarrist und Hawkins-Bruder Dan, sich zu einem leichten Lächeln durchringen konnte. Dan spielte lieber seine Brian May Soli und überliess dem hibbeligen Bruder die grosse Frontshow. Weiteres Bonmot für Queen-Fans: Rufus Taylor, der aktuelle Schlagzeuger von The Darkness, ist übrigens einer der Söhne von Queen-Trommler Roger Taylor. Zwischenzeitlich wurde Justin aber ernst und bat die Fans, doch für den Rest des Sets, das Smartphone einfach mal stecken zu lassen. Er wolle lieber gerne mal in die vielen hübschen Gesichter sehen.
Nach dem ersten Abgang wurden die Fans dann mit ausgesprochener Sexyness überrascht, sofern man Männer in viel zu kurzen Bademänteln knusprig findet. So durfte das Publikum im Zugabenteil viel nacktes Bein und erstaunlich glänzende Shorts bewundern. In dieser anrüchigen Atmosphäre kam es schliesslich zum "Partnertausch". Bassist Frankie Poullain, immer noch mit dem schönsten Schnauzbart ausgestattet, griff zur Akustik-Gitarre, Dan setzte sich hinter das Schlagzeug, und Rufus schnappte sich den Bass. Die Verruchtheit von «I Love You Five Times» wurde damit bestens unterstrichen, und der leichte Anflug von Hugh Hefner-Atmosphäre untermalte den Song angemessen.
Spontan gab die Truppe noch ein «Happy Birthday» zum Besten, bevor es Justin auf der Bühne nicht mehr aushielt und er sich zum Finale von «Love On The Rocks With No Ice» mit umgeschnallter Gitarre, auf den Schultern eines Roadies durch die schmucke Mühle tragen liess. So ging ein sehr lustiger Abend in der Hoffnung zu Ende, dass dieser geschundene Planet, mitsamt seinen oft gewöhnungsbedürftigen Bewohnern, noch nicht ganz verloren scheint. Solange es The Darkness und ihre Konzerte gibt, darf man weiterhin von einem Ort träumen, an dem wirklich noch alle an die grosse Liebe glauben.
Setliste: «The Boys Are Back In Town» - «Black Shuck» - «Get Your Hands Off My Woman» - «Growing On Me» - «The Best Of Me» - «Makin’ Out» - «Givin' Up» - «Love Is Only A Feeling» - «Curse Of The Tollund Man» - «Stuck In A Rut» - «How Dare You Call This Love?» - «Stuck In A Rut» - «Street Spirit (Fade Out)» (Radiohead Cover) «Holding My Own» - «Friday Night» - «I Believe In A Thing Called Love»
Zugaben: «I Love You 5 Times» Improvisierte Cover-Songs «With Or Without You (U2) / Happy Birthday» - «Love On The Rock With No Ice»
Die Zeichen der Geschichte Alan McGee teilte vor 20 Jahren mit vielen seiner Kollegen die Meinung, dass The Darkness nur eine lächerliche Gimmick-Band seien, die kein wirkliches Talent besitzen. In ihren, in der Tat, urkomischen Videos tauchten Aliens und Raumschiffe auf, und auch die Musik sollte schlichtweg nur Spass und Freude vermitteln. Etwas, das gerade nach der Grunge-Ära extrem verpönt war. So übersah man schnell das exzellente Songwriting der Hawkins-Brüder und Alan McGee (seinerseits Oasis-Entdecker) entgingen so satte vier Millionen verkaufte Einheiten, da er keine Glamrock-Truppe mit Falsett-Gesang bei seinem Label Creation Records unter Vertrag nehmen wollte.