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"...mit Century Media war allen Mitgliedern bewusst, dass wir vermutlich etwas richtig gemacht haben. Dann ging es nämlich auch mit dem Touren in ganz Europa los..."
Ihr aktuelles Album «Aftermath» ist gerade zwei Wochen alt, als mich Angelus Apatrida zum Interview im KiFF bitten. Das Lokal, um diese Zeit noch leer, wirkt wenig einladend. Rauchend nimmt mich Gitarrist David G. Álvarez mit durch die kühlen Flure, um den Sänger Guillermo Izquierdo fürs Interview aufzusuchen. Wie so oft, war Spontanität gefragt, denn der Frontmann war noch mit dem Merchandise beschäftigt, sodass mir schliesslich doch David Rede und Antwort stehen sollte. Aber wo? Wir betraten Raum für Raum, verliessen diese aber kurz darauf wieder, da stets Bandmitglieder und Mitarbeiter um uns herum wuselten. Ruhe war also Wunschdenken, aber wir machten das Beste daraus. Zwischen Essensbuffet, zischenden Kaffee-Maschinen und schnarchenden Rockstars plauderten wir über Spanien, Musik und Freundschaft.
MF: Früher kannte man in der Schweiz gerade nur Héroes del Silencio. Heute sieht es etwas besser aus, aber der spanische Import ist noch immer nicht überwältigend. Wie steht es aktuell um die Metal-Szene in Spanien?
David: Nun, wir haben eine coole Szene in Spanien. Früher, in den 90er Jahren kannte man wirklich fast nur Héroes del Silencio oder Barón Rojo und Obús. Nach dem Tod des Diktators Franco explodierte hier in Spanien allerdings alles - eine riesige Metal-Szene entstand. Es gab viele Heavy Metal Bands anfangs der 80er, die alle auf Spanisch sangen. Es entwickelte sich also eine lokale Szene mit vielen Truppen in Spanien. Mittlerweile gibt es natürlich auch viele zeitgenössischere Bands wie Angelus Apatrida. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die spanische Szene jetzt eine der besten der Welt ist und viele Combos in Spanien spielen möchten. Es gibt viele grossartige Festivals, die alle im Sommer stattfinden, und das Wetter ist zu der Jahreszeit bekanntlich ziemlich gut sowie warm (lacht). Trotz aller anderen Stile würde ich die Szene als ziemlich gesund beschreiben. Es ist aber bis heute nicht üblich, dass spanische Bands auf Englisch singen. Das hat erst langsam begonnen, und wir führen das weiter. Ich möchte wirklich jeden Einzelnen dazu einladen, die spanische Szene kennen zu lernen, nach weiteren Gruppen zu suchen und neue Musik zu entdecken.
MF: Du sagst du möchtest, dass die Leute neue spanische Bands kennen lernen. Hast du irgendwelche Empfehlungen?
David: Crisix, unsere Freunde aus Barcelona sind grossartige Thrash-Metaller, und ich kann auch die Post Rock Instrumental-Band Toundra empfehlen. Sie sind grossartig. Meine Favoriten heissen aber Soziedad Alkoholika. Sie singen auf Spanisch und sind eine Hardcore Crossover Band, die ich wärmstens empfehlen kann. Auch Blood Hunter sind wirklich gut. Die musst du unbedingt einmal auschecken.
MF: Welche Orte würdest du also in Spanien empfehlen, um eine gepflegte Metal-Party feiern zu können?
David: Früher hätte ich klar Valencia gesagt, aber da gibt es fast keine Konzerte mehr. Ich weiss nicht genau warum, aber die Leute dort scheinen ein echtes Problem mit Rock-Musik zu haben (lacht). Die stehen da eher auf Reggaeton…! Ich würde dir heute Murcia empfehlen. Das liegt etwas weiter unten als Valencia. Teilweise läuft auch etwas in Madrid, aber da ist es sehr verschieden.
MF: Das klingt jetzt sehr klischeehaft, aber wann hast du dich gegen Flamenco und für Thrash Metal entschieden?
David: (lacht laut auf)…, das ist schwierig zu sagen, denn dort wo wir herkommen, ist der Flamenco wirklich sehr bekannt. Ich persönlich liebe Flamenco auch. Vielleicht ist unsere Spielweise dem Flamenco gar nicht unähnlich (lacht). Wilde Gitarren sorgen für die richtige Stimmung. Einziger Unterschied ist, dass beim Flamenco wenig bis gar nicht zur Musik gesungen wird. Vielleicht versuchen wir auf der nächsten Platte etwas Neues, wie Hard Flamenco… (lacht)
MF: Wie erklärst du dir, dass die ersten fünf Alben, zumindest in der Schweiz, nicht mehr Beachtung fanden?
David: Das ist schwer zu erklären, gerade wenn man von all seinen Werken überzeugt ist. Ich weiss es ehrlich gesagt gar nicht. Es ist so, dass wir von Album zu Album besser werden wollen und uns irgend auf eine Weise entwickelt haben. Wem die erste Platte gefiel, der hatte vielleicht Mühe mit den Veränderungen zur zweiten Platte. Wem die zweite gefiel, der hatte im Anschluss Mühe mit dem dritten Album. Die Veränderungen waren zwar nicht gravierend, aber sie waren da. Für uns geschah der Schritt in Richtung Professionalität, als wir bei Century Media unterschrieben haben.
MF: Wann habt ihr gemerkt, dass ihr definitiv auf dem richtigen Weg seid?
David: Ich hatte bereits bei unserem zweiten Album «Give ‘Em War» das Gefühl, dass wir auf dem rechten Weg sind. Schon zu diesem Zeitpunkt haben wir angefangen professioneller zu arbeiten. Später bei der Unterzeichnung mit Century Media war allen Mitgliedern bewusst, dass wir vermutlich etwas richtig gemacht haben. Dann ging es nämlich auch mit dem Touren in ganz Europa los, und kurze Zeit später sollte auch Südamerika folgen. Das war für mich der wohl wichtigste Punkt in der Bandgeschichte. Ich weiss nicht warum, vielleicht weil die lateinamerikanischen Leute irgendwie anders sind, aber wir sind der lateinamerikanischen Szene sehr ähnlich. Europa ist sowieso grossartig, denn die Heavy Metal Szene ist hier sehr verbreitet, beliebt und hat eine lange Geschichte.
"...dass du spielen kannst, was du willst und Vorschläge bringen kannst, ohne dass du fürchten musst, dass es auf Ablehnung oder Unverständnis stösst..."
MF: Auffällig ist auch, dass euer Line-up seit zwanzig Jahren unverändert ist. Was ist euer Geheimnis?
David: Wir sind Freunde! Wir sind Freunde, seit wir fünfzehn Jahre alt sind. Wir versuchen immer sorgfältig mit unserer Freundschaft und der Band umzugehen. Ich glaube, dass dies sehr wichtig ist, wenn man über längere Zeit zusammen arbeiten will. Du spürst einfach, dass alle gleichberechtigt sind, dass du spielen kannst, was du willst und Vorschläge bringen kannst, ohne dass du fürchten musst, dass es auf Ablehnung oder Unverständnis stösst. Es ist einfach eine andere Verbindung! Wir sitzen seit Jahren, Tag für Tag in engstem Raum aufeinander, und das ist auch unter Freunden nicht immer einfach. Stell dir das jetzt einmal mit Konkurrenz-Kampf unter Egoisten vor (lacht)…
MF: Kann diese Tatsache auch der Grund dafür sein, dass ihr so erfolgreich seid?
David: Oh…, ich weiss nicht! Normalerweise finde ich es ziemlich schwierig, als explosiver Gitarrist, als Macher in einer Band zu sein. Hier spiele ich einfach mit drei hässlichen Typen zusammen (lacht) meinen Part, und es klappt wunderbar. Ich weiss wirklich nicht, an welcher Magie das liegt, aber das ist schlussendlich auch egal.
MF: Hast du das Gefühl, mit Angelus Apatrida zur Speerspitze der spanischen Heavy Metal Revolution zu gehören?
David: Nein, das glaube ich nicht. Die spanische Metal-Szene explodierte schon viel früher, und heutzutage ist alles ganz anders, als noch in den 80ern. Alles ist globalisiert. Doch ich bin froh, dass wir nun auch damit beginnen können, Bands und Musik zu exportieren, wie es andere Länder und Musiker schon seit Jahren tun.
MF: Was gibt es zu eurem aktuellen Album «Aftermath» zu sagen, das nicht schon gesagt wurde?
David: Es ist unser bestes Album (lacht)! Es fällt mir immer sehr schwer, unsere Musik zu beschreiben. Es gibt so viele tolle Lieder, aber natürlich sollte es das beste Album sein, das wir je gemacht haben, denn Rückschritte oder an Ort und Stelle treten liegt uns nicht. «Aftermath» ist ein Konzentrat aus all unseren Ideen. Manchmal ist der Sound sehr kraftvoll, dann finden sich sehr schnelle Tracks, andere wiederum sind melodischer und noch andere überschreiten die Norm der Spiellänge. Wir haben einfach alles im Angebot.
MF: Wann habt ihr mit der Arbeit an «Aftermath» begonnen?
David: Im letzten Moment… (lacht)…, wir haben versucht, uns auf Tour neuem Material zu widmen, aber es war zu schwierig, denn wir haben uns darauf konzentriert, abends eine gute Show zu spielen und während den Reisen, mit Bus oder Flugzeug, genügend Erholung zu kriegen. Wir leben sehr von der Inspiration des Alltags, und davon gibt es während dem Tourleben bekanntlich genug. Touren sind für uns gut, weil wir die Erlebnisse auf dem Handy festzuhalten versuchen. Zuhause, in den ruhigen vier Wänden, versuche ich dann, mich an diese Erlebnisse zurück zu erinnern. Im Allgemeinen läuft es aber so: wir treffen uns und haben nur knapp Zeit (lacht). Das bedeutet Stress, aber für uns ist dies ein guter Prozess, weil wir eine Deadline brauchen.
MF: Wie waren die bisherigen Reaktionen auf «Aftermath»?
David: Oh, durchwegs positiv! Die Fans springen gut auf die neuen Songs an, obwohl es auch "speziellere Tracks" auf der Platte hat. Mit speziell meine ich nicht die klassischen Thrash Metal Songs, sondern solche im Stil von «Snob», die durch Gastauftritte, wie der von Jamey Jasta (Hatebreed), veredelt werden. Auch die Songs mit Pablo García (Warcry, Gitarre), Rap-Star Sho-Hai (Gesang) und Todd LaTorre (Queensrÿche) gehören zu dieser Gattung. Wir wollten einfach nicht stehen bleiben und dennoch unsere Wurzeln nicht vergessen. Dies scheint, so die Meinung der Fans, ganz gut geklappt zu haben.
"... Sie verstehen uns als Band, ermutigen uns, unsere Musik zu spielen. Ich kann über diese Zusammenarbeit gar nicht klagen..."
MF: Wie ist eure Zusammenarbeit mit Century Media?
David: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis mit Century Media. Die Verantwortlichen von Century sind immer noch da, sind immer noch die gleichen, wie vor der Pandemie. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Sie verstehen uns als Band, ermutigen uns, unsere Musik zu spielen. Ich kann über diese Zusammenarbeit gar nicht klagen, auch wenn man immer wieder viel Ungutes über Musiklabels hört.
MF: Welcher Moment ist für dich der schönste, wenn ihr an einer neuen Platte arbeitet?
David: Oft das Ende (lacht)! Wenn eine Platte fertig ist, will man schliesslich auch hören, wie sie bei den Leuten ankommt. Wovon wir schon lange überzeugt sind, sollen sich nun auch andere überzeugen können, denn wir kaufen ja nicht unsere eigenen Alben oder besuchen unsere Konzerte. Wir wollen Feedback! Die Komplimente und Glückwünsche zum neuen Album sind immer etwas ganz Spezielles. Man hat es sich selbst so oft angehört, dass man plötzlich nicht mehr sicher ist, ob es wirklich gut ist. Weisst du, wie ich meine? Es ist am Schönsten, Komplimente von Leuten, von Fans zu erhalten, die deine Arbeit wirklich zu schätzen wissen.
MF: Eure Karriere hat nun auch schon einige Jahre auf dem Buckel…
David: …23…
"... In China hat für zwanzig Stunden kein Schwein mit uns gesprochen. Das war seltsam..."
MF: …gibt es Anekdoten, die dir als besonders "gut" oder besonders "schlecht" in Erinnerung geblieben sind?
David: Eines meiner besten Erlebnisse war, als wir vor etwa zwölf Jahren für Slayer und Megadeth in Spanien eröffnen durften. Ich erinnere mich, dass ich hinter der Bühne stand, diesen Kerl (Kerry King) anstarrte und mir immer wieder sagte: "Slayer in Spanien. Kann das wahr sein?" Oder als wir am Graspop in Belgien spielten, ein paar Bierchen tranken und nicht weit von uns entfernt Phil Anselmo sass. Ich fühlte mich wie ein junger Fan, der schüchtern nach einem Foto fragt, das ich schliesslich auch bekommen habe. Zakk (Wylde) gesellte sich später auch noch dazu.
Er gehört für mich zu den Haupt-Einflüssen meiner Arbeit. Das war wirklich bombastisch! An etwas wirklich Schlimmes erinnere ich mich gar nicht, aber das erste Mal, als wir in China gespielt haben, war nicht besonders witzig. Wir Spanier machen gerne Spass, die ganze Zeit über, und das schien einigen Chinesen nicht zu behagen. Als wir den ganzen Tag über, auf den Auftritt warteten, wollte keiner mit uns reden. Es war unmöglich, mit den Menschen ein Gespräch anzufangen. Da fühlte ich mich ziemlich allein. An manchen Tagen haben wir uns ernsthaft gefragt, was wir eigentlich in China machen. Wenn wir in Europa auf Tour sind, die Heimat, die Freunde oder die Freundin vermissen, dann können wir uns mit Gesprächen ablenken. In China hat für zwanzig Stunden kein Schwein mit uns gesprochen. Das war seltsam und irgendwie verrückt.
MF: Möchtest du noch etwas hinzufügen, das dir wichtig erscheint?
David: Für uns ist ein Traum in Erfüllung gegangen, mit Legenden wie Death Angel und Sacred Reich auf Tour gehen zu dürfen. Lass uns nun da raus gehen und gemeinsam die Bude abreissen. Einen tollen Abend kann ich dir auf jeden Fall garantieren.
MF: Danke für deine Zeit David.
David: Ich danke! Ich nehme dich noch kurz zum Backstage mit, dann kannst du den anderen noch "Hallo" sagen…