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"...Bei mir hat sich im Leben immer alles zufällig ergeben. Dass ich die Flying V spiele ist Zufall. Ich hab sie mir nicht ausgesucht, sondern sie kam zu mir..."
Michael Schenker hat Generationen von Gitarristen mit seinem Spiel beeinflusst. Einer, der als Jugendlicher die Höhen und Tiefen des Musikbusiness aus nächster Nähe am eigenen Leib erfahren musste. Nach seinen Stationen bei den Scorpions und UFO, gründete er die Michael Schenker Group, kurz MSG genannt. Heute, fast 50 Jahre nach seinen ersten Gehversuchen, steht ein neues Album zum Kaufen bereit, und was für eines! «Immortal» ist ein klares 10 von 10 Punkten Highlight geworden. Wie es dazu kam, welche Rolle Corona spielte und wie er zu seinem Bruder Rudolf steht, könnt ihr in den folgenden Zeilen lesen. Eines muss aber noch erwähnt werden. Die Hingabe, Offenheit, Freude, Ehrlichkeit und den Enthusiasmus, welche Michael beim Interview ans Tageslicht legte, sucht bei Musikern, die so lange im Geschäft sind, Ihresgleichen. Diese positiven Emotionen konnten nur sehr schwer in Worte umgesetzt werden, sollen aber zeigen, dass Michael weit weg davon ist überheblich zu sein (was ihm immer wieder angedichtet worden ist). Authentisch und mit einer unglaublichen positiven Energie riss mich das Gespräch förmlich mit und liess das Interviewjahr 2020 bestens, um nicht zu sagen bestmöglich abschliessen.
MF: Gratulation zu diesem sagenhaften Album, das vor Spielfreude und Ideenreichtum nur so strotzt. Woher kam das alles?
Michael: Im Grunde genommen bin ich ein Kind im Sandkasten (grinst). Ich habe Freude am Spielen und betreibe dies nicht als Wettbewerb oder Wettkampf. Dabei vergleiche ich mich mit niemandem und renne dem Ruhm nicht hinterher. Nur die Freude eines Kindes, das im Sandkasten spielt, Dinge entwickelt und entdeckt, treibt mich an. Schon früh in meinem Leben habe ich den Weg dahin gefunden, wo meine kreative Kraft herkommt. Die innere Welt, die Quelle aller Kreativität, da gibt es kein Ende. Wenn man den Weg kennt und sich für ihn entscheidet… - Das kann jeder für sich entdecken, bloss rennen die Meisten Ruhm, Erfolg und einem Trend hinterher. Wenn, dann bin ich ein Trend-Hersteller (lacht). In den achtziger Jahren wurde mein Lead-Gitarrenspiel von so vielen Gitarristen nachgespielt und kopiert. Da ich stetig zu meiner inneren Quelle gehe, um Neues beim Spielen entdecke, bin ich immer einen Schritt voraus.
MF: Du sprichst diese Spielfreude und das Kindliche an. War das immer da oder ging es zwischendurch verloren?
Michael: Nein! Ich war schon immer so und hatte immer die Freude an einer Sache, die einen wirklichen Wert hat. Damit meine ich nicht den finanziellen Wert. Dieser kommt von einer ganz anderen Welt. Das Sprichwort: "Verliere nicht Kind zu sein" (lacht)… - Sobald du erwachsen wirst und denkst du bist erwachsen, verlierst du das Kind in dir.
MF: Somit ist es für dich heute einfacher, neues Material zu schreiben?
Michael: Es ist immer einfach gewesen (grinst). Da ich immer aus dem Herzen… - Ich gehe immer zur Quelle. Wenn du diese kennst, ergibt sich stetig eine neue Freude…
MF: …diese Freude strahlt und springt den Hörer an, wenn man sich die neuen Songs anhört…
Michael: …das freut mich zu hören! Dankeschön. Ich schreibe die Lieder immer auf die gleiche Art. Es beginnt bei mir damit, dass ich in meine innere Quelle gehe und starte, zehn oder elf Stücke zu komponieren. Dann fahre ich zu Michael Voss ins Studio und wir nehmen zusammen die Backing-Tracks auf. Darauf wird der erste Anruf zum Sänger getätigt mit der Frage: "Bist du soweit, wir sind fertig?!" (lacht). Durch diesen bestehenden Virus… - Die Grundidee war, dass Ronnie Romero alle Lieder singt. Aber COVID hatte alles gestoppt. Ronnie rief mich an, dass er nicht mehrere Tage in die Quarantäne gehen kann, da er Verpflichtungen hat. Ich habe das Gefühl, dass ich 2020 völlig verpasst habe. Mein Agent erinnerte mich daran, dass «Lonesome Crow» von den Scorpions erst 1972 erschien. Da sagte ich: «Jaaaa, dann habe ich ja noch zwei Jahre» (lacht). Aus diesem Grund entschloss ich mich, mein 50-Jähriges mit der Michael Schenker Group zu feiern. Es war ja immer die Michael Schenker Group. Ob da noch Temple Of Rock stand oder Michael Schenker Fest, es ist die MSG. Die ganzen Namenszusätze sollten nur erklären, um was es in dieser Zeit ging. Bei Michael Schenker Temple Of Rock weiss man, dass Hermann Rarebell und Francis Buchholz von den Scorpions dabei sind, wie auch Doogie White von Rainbow. Beim Michael Schenker Fest singen die Originalsänger der achtziger Jahre-Besetzungen mit. Das sind Gary Barden, Graham Bonnet und Robin McAuley. Bei der ersten MSG-Besetzung spielten Simon Phillips (Drums) und Mo Foster (Bass).
Bei der zweiten MSG spielte Cozy Powell (Drums). Sogar bei McAuley Schenker Group war es mir egal, dass Robin zuerst im Namen erwähnt wurde. Aber so konnten wir das MSG-Logo behalten. Es ist mir völlig egal, ob mein «M» das erste ist oder nicht! Diese ganzen MSG-Namen helfen den Fans und mir, dass wir alle wissen in welcher Phase sich die Band gerade befindet. Bei jedem Song liessen die jeweiligen Musiker ihre Persönlichkeit einfliessen. Das war früher so und ist heute nicht anders. Das sind und waren alles phänomenale Musiker. Wie dieses Mal mit Simon Phillips oder Bryan Tichy. Wie sich alles auf «Immortal» entwickelt hat, ist unglaublich. Das Virus hat alles durcheinander gebracht. So bin ich aber auch am Schluss dort angelangt, wo ich zu Beginn hin wollte (lacht). Nur dieses Mal musste ich mich nicht in Bewegung setzen, sondern die Musiker riefen bei mir an. Das begann damit, als Ronnie uns mitteilte, dass er aus den gegebenen Gründen verhindert sei. Ich fragte meine Partnerin: "Sag mal, der Ronnie kann nicht raus, wen können wir denn für diesen Song als Sänger nehmen?" Ich höre keine Musik, bin kein Konsument und weiss gar nicht, was es alles zu hören gibt. Sie hat aber einen sehr guten Geschmack, ist nach wie vor interessiert und schlug mir Ralf Scheepers als fantastischen Sänger vor. Ich fragte Michael Voss, was er von Ralf hält. "Absolut!", war seine Antwort und am nächsten Tag nahmen wir schon im Studio zwei Songs auf. Zur gleichen Zeit rief mich Bryan Tichy an und meinte: "Ich hörte, dass du dein "50th Anniversary" feierst. Da ich grosser Fan von dir bin, möchte ich gerne ein paar Songs eintrommeln". Das ist doch unglaublich! Einer der besten Schlagzeuger will bei mir spielen? Der hat mit Ozzy, Whitesnake und Foreigner gespielt. Darauf rief Bryan nochmals bei Michael an und sagte dass ein Freund von ihm, Derek Sherinian, der auch ein Fan ist, gerne mitspielen möchte. Ich fragte Michael: "Was machen wir mit einem solchen Heavy-Duty-Keyboarder?" "Mach doch einfach eine Jam mit ihm", meinte er. So was habe ich noch nie gemacht! "Das ist doch super und würde eine Frische rein bringen. Die Fans würden dies sicher auch interessant finden", antwortete Michael. "Meinst du so wie Jon Lord und Ritchie Blackmore?", fragte ich ihn. Vielleicht hatte er ja recht (lacht). Als ich das Ergebnis hörte, hat es mich umgehauen. Dies wurde zu «Drilled To Kill».
Wir riefen dann erneut Ronnie an, der aber noch immer nicht aus seiner Heimat raus konnte. "Mach dir keine Gedanken mein Junge", war meine Antwort. Ich fragte Michael: "Was machen wir denn jetzt? Hast du eine Idee?" Seine Antwort: "Klar, Joe Lynn Turner!". "Was? Das ist einer meiner Lieblingssänger, hast du eine Verbindung zu ihm?". "Ja, klar!" und am nächsten Tag haben die Beiden aufgenommen. Auch das hat mich völlig umgehauen. Dann hat Simon Phillips ausgeholfen und eines Morgens, als ich aus dem Hotel kam, meinte Michael Voss: "Schau mal, das habe ich gestern Abend noch geschrieben". Er macht immer einen Plan B für Sänger und Texte. Im Falle eines Falles, wenn der Shouter noch Unterstützung braucht. Er spielte mir die Nummer vor und ich sagte nur: "Mensch Michael, das ist ja unglaublich!" Es war eine Power-Ballade, so was habe ich vorher noch nie aufgenommen. Nochmal etwas Neues (grinst). Michael sang diese Nummer dermassen von Herzen, das war wirklich unglaublich schön. Da wusste ich, das konnte nur er einsingen. Dann war da noch «The Queen Of Thorns And Roses», bei der Michael eine persönliche Note beim Text einbrachte. Ich wusste, diese beiden Tracks musste er singen. So konnte Ronnie Romero sechs Lieder weniger singen (lacht). Als er bei uns im Studio unterstützte, hat er fantastische Arbeit abgeliefert. «In Search Of The Peace And Mind» war ein ganz wichtiges Stück.
Dies war meine allererste Komposition, die ich als 15-jähriger zu Hause bei meiner Mutter in der Küche schrieb. Michael Voss hat mir die originalen Credits geschickt. Da stand: "Michael und Rudolf Schenker Lyrics". Wir hatten Beide keine Ahnung von der englischen Sprache, geschweige denn, wie man auf Englisch textet. Die richtigen Credits hätten lauten müssen: "Musik von Michael Schenker". Wer den Text schrieb, das weiss ich gar nicht. Das Heroische ist, dass der Titel «In Search Of The Peace And Mind» zum Thema meines Lebens wurde. Das erste Lied, das ich komponierte und in einem Studio aufnahm. Dies musste gefeiert werden. Die Komposition selber war für einen 15-Jährigen sehr komplex. Das Solo in der Mitte des Songs ist so perfekt, da würde ich niemals eine Note verändern. Nicht in den kommenden hunderten von Jahren. Dies mit 15 Jahren zu schreiben… - Man kann auf «Lonesome Crow» hören, wie ich mich entwickelte und noch ein völliger Amateur war. Ich konnte nie verstehen, woher ich dieses perfekte Solo her hatte. Das war unglaublich. Diesen Track wollte ich als Jubiläums-Song verwenden und habe am Schluss noch mit allen emotionalen Ausbrüchen vier weitere Gitarrenspuren aufgenommen. Ein paar Wochen später stellte ich fest, dass das Solo am Ende, im Grunde genommen meine 50 Jahre als Gitarrist beschreibt, mit all seinen Ups und Downs. Das ist eine komplette Geschichte (lacht). Das überraschte mich erneut, woher diese Ideen und Inspirationen herkamen. Nichts davon war geplant, aber alles lenkte und brachte uns zum Resultat des neuen Albums.
MF: Wie kam es dazu, dass Barry Sparks (Bass), Bodo Schopf (Schlagzeug) und Steve Mann (Gitarre, Keyboard) auf «Immortal» mitspielen?
Michael: Barry mailt mir am laufenden Band (lacht) und will immer mein Bassist sein. Ich schrieb ihm zurück: "You got it!" (lacht). Er hat echt einen sehr guten Job abgeliefert und ist wirklich ein toller Bassist. Bodo war einer der Gründe, bei denen ich sagte, ich will dies mit einer kompakten Band machen. Bodo, Barry, Steve und Ronnie. Das war meine Grundidee. Da bestand noch keine Idee, dass uns Ralf, Michael, Joe oder wer auch immer unterstützen sollten. Das hat sich selber alles entwickelt, wegen Corona. Das war ein Geschenk Gottes für mein 50-Jähriges Jubiläum! Anders kann man dies nicht beschreiben. Ich musste nur meine Kompositionen hinlegen, der Rest ergab sich von selbst und wurde von Top-Musikern eingespielt. Alleine was Simon Phillips auf «In Search Of The Peace And Mind» gespielt hat, ist unglaublich!
MF: Ab und zu spielt das Leben Zufall?
Michael: Ich sag dir eins. Bei mir hat sich im Leben immer alles zufällig ergeben. Dass ich die Flying V spiele, ist Zufall. Ich hab sie mir nicht ausgesucht, sondern sie kam zu mir (grinst). Als ich sie spielte, entdeckte ich auch ihre Vorteile. Ich klemmte sie zwischen die Beine, konnte ein «heavy» Vibrato entwickeln und so entstand mein krummes Dastehen, was zum meinem Markenzeichen oder Symbol geworden ist.
"...Krisen sind ein echt guter Lehrer. Ohne diese geht im Leben gar nichts. Sie bringen unsere Entwicklung weiter, wenn man daraus lernt..."
MF: Wenn du auf deine fünf Jahrzehnte zurück schaust, welches Fazit ziehst du?
Michael: Krisen sind ein echt guter Lehrer. Ohne diese geht im Leben gar nichts. Sie bringen unsere Entwicklung weiter, wenn man daraus lernt. Es ist auch unglaublich wichtig, dass man in die Tiefe fällt. Denn je tiefer man fällt, desto höher steigt man wieder auf. Das bringt ein grösseres Verständnis zum Leben. Statt nur monoton in der Mitte stehen zu bleiben und vor sich hin lebt. Solche extreme Entwicklungen sind unheimlich wichtig, speziell als Artist. Wenn ich in meine Quelle gehe, finde ich die Verbindung mich zu selbstreflektieren. Selbst wenn es Krisen gibt. Die Verbindung mit dem «creator of all creations». Erscheine ich zerbrechlich, speziell in meiner Jugend… - Sehr sensibel, zerbrechlich und empfindlich, bin ich zur gleichen Zeit unheimlich stark. Die Stärke ist diese innere Goldmine, die ich habe.
MF: Was ist dir beim Gitarrespielen wichtiger? Technik oder Gefühl…
Michael: …ich bin doch das Kind im Sandkasten (lautes Lachen), dort gibt es keine Technik. Nur spielen und entdecken. Die Freude an diesen drei Tönen, die man immer neu zusammenstellt, die eine Explosion ergeben.
MF: Wenn das ganze Virus vorbei ist, wirst du sicher wieder auf die Bühne gehen. Wer wird dich dabei begleiten?
Michael: Das wird Ronnie sein… - Ausser es kommt wieder völlig anders, wegen COVID (lacht). Ich bin vorsichtig geworden, habe mich schon bei Barry Sparks entschuldigt und gesagt, dass ich alles sehr kompakt halten will, damit keine Grenzen zwischen uns sind. Barry ist aber noch immer auf der Liste, zum Beispiel für Japan oder wenn immer es geht. Bodo und Steve sind dabei. Michael Voss könnte Bass spielen, sofern Barry verhindert ist. Ist Barry dabei, dann spielt Michael Gitarre. Er ist ein wahnsinnsguter Gitarrist. Es gibt so viel Gitarrenspiel auf der neuen Platte, wie auch bei den alten Songs. Da würde sich dann bestens ergeben, mit einem dritten Gitarristen aufzutreten.
MF: Weitere Gastsänger wie Graham Bonnet, Gary Barden, Doogie White oder Robin McAuley sind nicht geplant?
Michael: Das ist alles offen. Wenn es Veranstalter gibt, welche dies bezahlen können… - Das Michael Schenker Fest ist sehr teuer. Wir stehen immer zur Verfügung, wenn es Promoter gibt, die das bezahlen können und wollen.
MF: Bei den letzten Konzerten des Michael Schenker Fest hast du immer wieder Seitenstiche gegen deinen Bruder Rudolf (Scorpions) losgelassen. Wie ist dein Verhältnis zu ihm?
Michael (lachend): Rudolf ist ganz einfach ein "Bully" (zu Deutsch: Tyrann, schikanieren). Seit 50 Jahren leben wir getrennt. Ich liebe Rudolf als meinen Bruder, aber die soziale Entfernung ist sehr wichtig, nicht dass ich wieder in eine weitere unbequeme Situation gedrängt werde. Ich möchte keine neue Dose mit Würmern öffnen. Alle sind doch zufrieden. Die Scorpions haben ihren Erfolg und ich habe Phil Mogg 50% meines Namens von UFO kostenlos zurück gegeben. Er musste mir nichts dafür bezahlen. Somit sollte auch er glücklich sein (grinst). Darum muss man nicht wieder eine neue Dose öffnen, die erneut alles durcheinander bringt. Ich möchte lieber meine Ruhe haben.
MF: Dazu wünsche ich dir ganz viel Erfolg und behalt dieses Kindliche in dir, denn solange die neuen Songs noch immer dermassen gut werden, bist du auch in deinem 50gsten Jahr im Business noch immer auf dem richtigen Weg.
Michael: Ich danke dir für diese Worte. Pass auf dich auf und bis bald. Tschüss!