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"...Ärmel hochrempeln, zwei Stunden Bude putzen, zwei Alben durchhören, und dann ist alles sauber..."
In Extremo, die Wegbereiter des Mittelalter-Rocks, stehen vor einem beeindruckenden Meilenstein: Im Jahr 2025 feiert die Band ihr 30-jähriges Bühnen-Jubiläum. Die Reise, die einst auf kleinen Mittelalter-Märkten begann, hat sie zu einer der markantesten und einflussreichsten Bands der deutschen Musiklandschaft gemacht. Mit einer einzigartigen Kombination aus mittelalterlichen Instrumenten und hartem Rock schufen sie ein Genre, das bis heute Fans auf der ganzen Welt begeistert.
Im Gespräch reflektiert die Band, wie diese Reise sie geprägt hat – von den ersten Auftritten auf mittelalterlichen Märkten bis hin zu ausverkauften Konzerten auf grossen Bühnen. Ihr 30-jähriges Jubiläum wird 2025 mit einem besonderen Event auf der Freilichtbühne Loreley gefeiert. Bereits zum 20. Jubiläum füllten sie an zwei Tagen 12'000 Plätze – dieses Mal wird es drei Tage lang ein Festival geben, das mit einem beeindruckenden Line-up aus Bands wie Feuerschwanz und Clawfinger alle Erwartungen übertreffen soll.
In Extremo haben sich in den letzten drei Jahrzehnten stetig weiterentwickelt, sowohl musikalisch als auch in ihrer Bühnen-Präsenz. Doch die Essenz ihres Schaffens, die Mischung aus mittelalterlichen Klängen und modernem Rock, bleibt unberührt und zeugt von ihrer unermüdlichen Leidenschaft und Kreativität.
MF: Ich habe In Extremo das erste Mal 1996 auf dem Mittelalter-Markt in Cottbus gesehen. Zu dieser Zeit waren In Extremo und Noah noch gar nicht zusammen, und ihr habt noch auf einem ausgerollten Rasen-Teppich gespielt. Nächstes Jahr feiert ihr euer 30-jähriges Bühnen-Jubiläum.
Micha: Es war noch puristisch.
Specki: Wahnsinn!
MF: Ich würde heute mit euch gern ganz an den Anfang zurück gehen. Du, Micha, hast in einem älteren Interview einmal gesagt, dass du dein erstes Konzert mit elf Jahren heimlich besucht hast, und ab diesem Moment hast du genau gewusst hast, was du einmal machen willst.
Micha: Ja, das war Klaus Renft Combo aus Leipzig in Leinefelde auf dem Alten Saal.
(Anmerkung der Redaktion: Im Spätsommer des gleichen Jahres (rein rechnerisch) wurde die Klaus Renft Combo endgültig durch SED-Funktionäre verboten und als "nicht mehr existent" geführt.)
MF: Was war dein letztes, ganz privates Konzert?
Micha: Privat. Wo war ich denn jetzt? (überlegt) Ist schon wieder eine Weile her. Anne Clark. Das habe ich auch sehr genossen. Bei den ganzen Festivals siehst du auch so viele Bands. Aber so richtig besucht? Anne Clark.
MF: Und bei dir Specki?
Specki: Ich überlege gerade. Ich glaube es war jetzt im April. So lange war ich schon nicht mehr privat auf einem Konzert, weil wir die ganze Zeit gespielt haben. Ich war auf einem Rammstein-Konzert in Athen. Es war sehr, sehr schön. Ich habe die Show schon ein paar Male gesehen. Es ist immer wieder beeindruckend und es ist eine super coole Show. In Athen war es natürlich genial, weil, nicht nur ein besonderer Ort, sondern auch das Olympiastadion in Athen ist natürlich geil und das Wetter war super. Das war mein letztes privates Konzert. Genau.
MF: Dein erstes Album, das du dir selbst einmal gekauft hast, war von Fehlfarben.
Micha: Westalbum! Monarchie und Alltag.
"…Er wollte aber auch das Geld haben. Diese 12 DM waren viel Geld für mich…"
MF: Wie kommt man im Osten an so ein Album?
Micha: Kann ich dir sagen. Ich musste damals in Leinefelde in einer Baumwollspinnerei ganz kurz als Schlosser arbeiten. Die Frauen dort mussten Normarbeiten. Die hatten keine zwanzig Minuten zum Frühstück. Dort hatten die damals, in der DDR, von der Firma Zinser Textilmaschinen einen Maschinen-Austausch. Da kamen so Typen an und haben ein paar Maschinen gewechselt. Mit dem einen habe ich mich so ein bisschen angefreundet und ihn hatte ich gefragt, ob er mir eins mitbringen kann. Die sind jedes Wochenende nach Hause (Anmerkung der Redaktion: in Richtung Westen) gefahren und da hat er mir eins mitgebracht. Er wollte aber auch das Geld haben. Diese 12 DM waren viel Geld für mich.
MF: In Extremo ist für mich eher nicht so die Musik für zu Hause nebenbei. Es ist ja schon eher der Sound zum Feiern.
Micha: Na ja, beim Putzen!
Specki: Meine Schwester sagt immer Putz-Mucke. Sie ist jetzt auch kein Hardcore-In Extremo- oder Mittelalterrock-Fan. Aber sie findet uns richtig gut und sagt: «Ärmel hochrempeln, zwei Stunden Bude putzen, zwei Alben durchhören, und dann ist alles sauber, und es macht so richtig Spass.»
MF: Du hast in einem Interview 2011 mit uns einmal in den Raum geworfen, dass du ernsthaft darüber nachdenkst nach Zürich zu ziehen.
Micha: Es war echt einmal geplant. Na ja, vielleicht nicht geplant, aber ein Gedanke, dass ich einmal in die Schweiz ziehe. Das war wirklich so. Es hat sich dann aber nicht ergeben. Ich weiss, wir haben auch schon einmal nach einem Grundstück geschaut. Das hat aber wohl am Preis gelegen. Unerschwinglich. Verrückt. Da war der Plan schnell über den Haufen geworfen.
Specki: Die Schweiz ist aber auch sehr schön. Da kann man sich ernsthaft vorstellen zu leben.
Micha: Absolut! Die Lebensqualität ist um einiges höher.
MF: Wo wir beim Thema Wohnen sind. Specki, du wohnst auf einem Schiff?
Specki: Ich habe eine Wohnung. In Berlin gibt es 99 wirkliche Hausboot-Liegeplätze mit einer Meldeadresse. Deshalb kann ich nicht sagen, dass ich darauf wohne. Ich habe eine Wohnung, aber ich bin die meiste Zeit auf dem Schiff. Ich bin deutlich mehr auf dem Schiff als in der Wohnung. Da ist eben nur mein Briefkasten.
"…Ich will hier weg, denn in einer halben Stunde bin ich so blau, dass ich eh nichts mehr checke…"
MF: Jetzt weiss ich ja, dass du über dem Nemo gewohnt hast. Fehlt dir das auf dem Schiff etwas, oder geniesst du die Ruhe mehr?
Specki: Man will immer das, was man nicht hat. Wenn du auf dem Schiff bist, dann willst du ins Nemo gehen und ein paar Leute treffen, und wenn du im Nemo sitzt, dann sagst du «Ich will hier weg, denn in einer halben Stunde bin ich so blau, dass ich eh nichts mehr checke.» (lacht) Nein. Ich vermisse nichts, aber tatsächlich ist der Prenzlauer Berg eine tolle Ecke von Berlin. Ich wohne ja nicht mehr da – ich wohne jetzt in Kreuzberg. Die Lebensqualität ist auf dem Prenzlauer Berg schon besser als in Kreuzberg. Aber letzten Endes habe ich mir ja ausgesucht, auf das Schiff zu gehen, weil ich eben auch ein bisschen in die Natur will, ein bisschen Ruhe haben will und auch morgens ins Wasser springen will. Es ist gerade im Sommer, wenn wir von Festivals kommen, der beste Ort um zu regenerieren, um sich zu erholen und einmal auf andere Gedanken zu kommen.
MF: Aber so viel seid ihr doch sicher gar nicht zu Hause.
Specki: Eben! So viel Zeit ist es dann eben nicht. Wir sind zwei Nächte daheim, und dann geht es ja schon wieder weiter. Und jetzt die ganze Promo für das neue Album. Also sind nicht nur an den Wochenenden Burgentouren oder Festivals, dann fährt man nach Köln oder Berlin, wo Interviews oder irgendwelche Promo-Aktionen sind. Wir sind die letzten Wochen gar nicht zu Hause gewesen.
Micha: Ja.
Specki: Aber das ziehen wir durch, weil wir machen ein Album, und weil es so toll geworden ist, sollen viele Leute mitbekommen, dass es toll geworden ist.
"… Wir wollen in der Schweiz unbedingt mal in die Top 5. …"
MF: Das Z7 in Pratteln ist am 16.11.2024 ausverkauft und ich habe hier auf dem Gelände Leute getroffen, die extra wegen Euch auf dieses Festival gekommen sind, weil sie keine Karten für November mehr bekommen haben.
Specki: Wir wollen in der Schweiz unbedingt mal in die Top-5. Unsere beste Chartplatzierung war Platz #7. Wir haben schon für die ein oder andere Überraschung gesorgt. Vielleicht schaffen wir es ja mit dem Wolkenschieber.
MF: Ich habe das Album jetzt schon mehrfach durchgehört und ich bin total begeistert. Meinetwegen aus dem Stand gerne Platz #1 und den ein oder anderen Song endlich einmal im Radio. Die Sender meiden euch ja scheinbar nach wie vor. (Aber ich meide das herkömmliche Radio ja auch.)
Specki: Das ist uns aber mittlerweile egal. Deshalb unterhalten wir uns ja mit dir. Weisste was? Wir haben das jahrelang versucht. Irgendwann ist dann auch mal gut.
MF: Du hast einmal gesagt, dass du niemals eine Mittelalter-Band gründen würdest. Was denn dann?
Specki: Ich mag Rock-Musik und auch so Metal-Zeugs. Aber ich habe mir schon ganz lang keine Gedanken mehr gemacht, was ich für ne Band gründen würde. Es ist dazu nicht gekommen und deshalb habe ich mir die Frage auch gar nicht mehr gestellt. Ich bin mit In Extremo jetzt seit vierzehn Jahren unterwegs. Jetzt ist gerade richtig viel los, und sonst sind wir ja auch nicht faul. Ich finde es auch immer ganz gut, wenn man Abstand hat zum Tournee-Leben. Wahrscheinlich Metal-Musik.
MF: Ein Traum von dir wäre einmal in Montreux auf dem Jazz-Festival aufzutreten. Wann ist es soweit?
Specki: Das ist das berühmteste Jazz-Festival der Welt. Die sind aber auch so berühmt, weil sie sehr offen sind in den Musikrichtungen. Mit In Extremo könnten wir locker in Montreux spielen.
MF: Warum macht ihr es dann noch nicht?
Specki: Weil es nicht so einfach ist. Da muss man erst einmal den Fuss reinkriegen. Da ist die absolute «Crème de la Crème"» der Musikwelt. Immer die absoluten Top-Leute einer Szene. Wir sind zwar die Top-Leute in unserer Szene, aber der Mittelalter-Rock ist da noch nicht so angekommen.
Micha: Na dann sollte man das doch so schnell wie möglich einmal in die Wege leiten.
MF: Ihr seid doch diejenigen, die den Mittelalter-Rock erfunden haben oder die ersten, die gezeigt haben, dass man Mittelalter-Instrumente sehr wohl mit Rock zusammen auf die Bühne bringen kann.
Micha: Ja.
Specki: Richtig. Da können wir auch ein bisschen stolz drauf sein. Das ist ein bisschen Pionierarbeit. Und das schöne ist, wir haben inzwischen jetzt auch die Grösse und die alte Weisheit, dass man sagen kann: «Dann sollen sie uns das doch alle nachmachen!». Das ist doch schön, dass wir alle so inspirieren konnten, dass sie versuchen in unsere Fussstapfen zu treten. Es macht Spass zu sehen, was aus dieser Idee von Micha, Kay, Pymonte und Marco damals heute geworden ist. Es ist heute eine feste Musikrichtung. Früher war das ein Projekt, wo man sagt: «Komm, wir probieren mal Rock mit Dudelsäcken.» Jetzt gibt es im Plattenladen Mittelalter-Rock.
MF: Ja, damals wurdet ihr als die Punks der Mittelalter-Szene belächelt.
Micha: Ja, das haben sie damals tatsächlich gesagt: "Die Mittelalter-Punks kommen."
Specki: So muss das eben einmal anfangen.
MF: Ich finde die Entwicklung einer Band spannend, wenn man den Werdegang heraus spüren kann. In euren Alben hört man das Spiel mit der Kunst und die Lust am Experimentieren.
Micha: Es gibt immer so Leute, die da sagen: «Macht mal wieder ein Album wie «Weckt die Toten».». Ich sage dann immer: «Warum? Das haben wir vor 30 Jahren gemacht.»
MF: Ihr habt ja jetzt endlich mal den Titelsong dazu nachgereicht. Denn der hat ja immer irgendwie noch gefehlt. Damit habt ihr das Kapitel ja jetzt abgeschlossen.
Micha: (Lacht ausgelassen)
MF: Ihr habt früher unter falschen Namen auf Mittelalter-Märkten gespielt.
"…Wir haben uns umbenannt und die Band hiess Unbehurt…"
Micha: Ja. Das gab es auch schon. Wir waren zu dritt bereits bekannt, und irgendwie ging es so langsam los mit dem Mittelalter. Wir haben uns umbenannt und die Band hiess «Unbehurt». (sein Lachen reisst uns alle mit) Es hat funktioniert. Aber das haben wir nicht oft gemacht.
MF: Baut ihr denn eure Instrumente wirklich alle selbst?
Micha: Ja (eher verhalten). Es gibt mittlerweile Dudelsack-Bauer, die die Szene damit überflutet haben. Aber selbst gebaut…, das ist dann schon ein einmaliges Stück. (Zeigt auf einen Dudelsack, der auf dem Schrank uns gegenüber steht.) Aber auch wenn der Dudelsackbauer einfach nur mit dem Holz hilft, Marco und Py lassen sich da selber noch etwas einfallen.
Wo lernt man so etwas?
Micha: Autodidaktisch - bis es irgendwann einmal stimmt.
Marco hat noch eine ganz alte Drehleier. Eine, die noch so richtig kratzt. Es gibt mittlerweile auch schon Hightech-Drehleiern. Aber die ganz alten, die kratzen noch richtig. Das hat noch Charakter, das hat noch richtig Dreck. Die neuen Drehleiern klingen in meinen Ohren nicht gut. Das hört sich gemein an, aber ich empfinde es wirklich so.
Specki: Das sind eben auch Instrumente, die zu einer Zeit erfunden wurden, als es noch keine elektronischen oder elektrischen Drehbänke gegeben hat. Da hat man also mit einem Messer geschnitzt oder man hat versucht es rund zu bekommen. Aber es war halt nicht am Computer konstruiert und mit der CNC-Fräse ausgeschnitten. Deshalb hat es einen anderen Sound. Natürlich entwickeln sich auch Musikinstrumente. Aber wenn du sagst: «Ich möchte mittelalterlichen Sound haben.», dann muss es ein altes Instrument sein oder zumindest ein handgefertigtes Instrument sein. Sonst bekommst du den Dreck, wie Micha sagt, auch gar nicht her.
Die Gitarre wurde auch irgendwann akustisch erfunden und Basti spielt E-Gitarre. Es ist immer die Frage, was ist noch erlaubt und wo wird es schon zu modern. Letzten Endes müssen die Sachen bei uns ja auch technisch zu jeder Zeit funktionieren. Wir sind ja auch mit dem Flugzeug unterwegs. Wenn das Instrument bei 4 Grad nach 12 Stunden aus dem Flugzeugbauch kommt und du spielst bei 30 Grad in der Sonne, dann kann man sich vorstellen, was mit einem Holzinstrument dann passiert. Dass das dann nicht mehr stimmt, ist klar. Das müssen wir alles berücksichtigen. Ansonsten müssen wir einen Tag vorher anreisen, damit sich die Dudelsäcke wieder akklimatisieren können.
Micha: Und im Mittelalter selber hat sicher kein einziges Instrument gestimmt, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Wenn du das mit der Hand hergestellt hast, dann hat das sicher schrecklich geklungen. Ich glaube, da haben sie den ein oder anderen Musikanten vom Hof gejagt.
Specki: Troubadix. Das ist ja generell so. Die Gehörgewohnheit wird ja immer perfektionierter, und die Leute sind ja schon so darauf geeicht. Alles was im Radio läuft, oder was man so konsumiert ist ja auf 100 Prozent von der Tonalität und auch von der Rhythmik. Da ist jetzt kein Schlag mehr daneben, wo man sagt «Das klingt aber komisch.». Es ist ja alles gerechnet vom Computer. Da hat auch der normale Musik-Konsument so ein Gespür für diese Perfektion, deshalb ist es unmöglich, mit originalen Instrumenten zu spielen. Es würden alle davonrennen.
Micha: Ich war einmal in der Bretagne. Da gibt es einen Biniou-Bauer. Biniou Kozh. Das sind ganz kleine Pfeifen. Die sind so hoch, damit haben die Franzosen teilweise Schlachten damit gewonnen. Wenn die mit dreissig Dingern losgezogen sind, das war so ohrenbetäubend hochfrequent, da sind die abgehauen.
Die haben noch eine gefunden, aus dem 16 Jahrhundert, die noch richtig gut erhalten war, und die ist bei diesem Biniou-Bauer. Er hat die mal angespielt. Schrecklich. Wirklich schrecklich.
Specki: Ein Dudelsack wurde erfunden, um dem Gegner Angst einzuflössen. Das spricht für das Instrument.
Micha: Nicht nur das. Der Dudelsack kommt nicht aus Europa. Das Instrument kommt aus dem Orient. Es hiess damals Plate. Da hatten sie die Schalmei, und dann hatten sie irgendwie einen Ziegen- oder Schafdarm davor gemacht und dann zusammengedrückt. Durch die Kreuzzüge wurde das mit nach Europa gebracht und haben es als Kriegswaffe benutzt. Aber die ursprünglichen Instrumente kommen aus dem Orient. Das war die Zeit, in der sie hier in Europa noch mit dem Blatt vor dem Sack herumgelaufen sind. Ist wirklich wahr.
So genug Mittelalter. Machen wir mal weiter. (lacht)
"…Aber das ist so Montreux-Style…"
MF: Ihr habt ja nicht nur den Mittelalter-Rock erfunden. Ihr habt ja auch die Burgen-Touren ins Leben gerufen.
Micha: Das können wir uns eigentlich auf die Fahne schreiben, ja.
MF: Gibt es eine Burg, auf der du gern mal spielen würdest?
Micha: Neuschwanstein.
Specki: Das hätte ich jetzt auch gesagt, aber das ist so Montreux-Style. Da könnte man daran arbeiten, aber ob das jemals möglich ist?
MF: Wolkenschieber! Für 2023 angekündigt. Im April diesen Jahres habe ich darauf gewartet und jetzt kommt sie erst zum 13.09.2024.
Micha: Der Grund dafür ist, dass sie letztes Jahr noch nicht reif war. Wir haben auch den ganzen Sommer gespielt, und dann haben wir uns gesagt «Wenn wir jetzt noch eine Tour machen mit dem neuen Album, dann ist das alles viel zu viel.». Das war eigentlich der Hauptgrund. Aber das war genau richtig so, denn sonst hätte es einige Songs auf dem Album nicht gegeben.
MF: Lass mich raten «Des Wahnsinns Fette Beute» mit Joachim Witt wäre einer von diesen Songs gewesen.
Micha: Der auch. Der kam ziemlich spät. Er ist total cool. Wir haben auf uns dem "M'era Luna Festival" gesehen. Er kannte uns, und wir kannten ihn. Irgendwie sind wir gut ins Gespräch gekommen "Endlich treffen wir uns mal!". Wir haben später in Hamburg gespielt, und er kam dann zum Konzert. Er hat uns besucht, und da haben wir es klar gemacht: "Wir hätten vielleicht 'ne Nummer. Machst du mit?" Da sagte er "Ja, sofort!"
MF: Wolkenschieber. Was war zuerst da? Der Schnaps oder der Song?
Specki: Der Schnaps ist von 1860 oder sowas (Anmerkung der Redaktion: 1874). Es ist aber eine wahre Geschichte. Es gab in Kreuzberg einen Apotheker, der den Wolkenschieber kreiert hat. Und zwar als Allgemeinmedizin. Weil er marketingtechnisch schon ein Vorreiter war, hat er gesagt: «Ich mache daraus einen Likör, den die Leute auch so trinken können. Er vertreibt nämlich auch Unmut und Sorgen.» Die erste Strophe ist der originale Werbeslogan vom Wolkenschieber von 1860. Die Rezeptur vom Bitter haben wir erfunden. Aber den Wolkenschieber als Berliner Schnaps gab es schon vor über 100 Jahren.
Micha: Und daraus wurde die Geschichte praktisch gesponnen.
Specki: Das ist richtig gut. Deshalb sind wir auch so stolz darauf.
Ist der denn wirklich so gut? Schiebt er die Wolken wirklich weg?
Micha: Ja. Der ist auch nicht ohne.
Des Menschen Geist, der rastet nie,
Stets weiter strebet sein Genie!
So hab´ nach sinnesschweren Stunden
Ich jetzo einen Trank erfunden,
Der schiebt die Wolken von der Stirn,
Stärkt Rücken, Magen und Gehirn,
Der schützt vor Regen auf der Reisen,
Verdaut die allerschwersten Speisen,
Der heilet Weltschmerz, Liebesweh,
Erwärmt bis in die kleinste Zeh´,
Der macht den Körper wohlgestalten
Wer lang´ ihn trinkt, bleibt lang erhalten,
Der macht, das alles lacht und liebt,
Und das der Geist zur Wolke schiebt.
Quelle: köpenicker-strasse.de/Koepenicker73.html
MF: «Weckt die Toten» ist zufällig die Anspielung auf das Album oder ist das der verloren gegangene Titelsong?
Micha: Das haben wir mit Absicht gemacht. Natürlich. Es passt alles.
MF: Der nächste Song, den ich in dieser Runde ansprechen möchte, ist «Olafur». Ich habe gegoogelt und es scheint isländisch zu sein.
Specki: In der Geschichte geht es darum, dass ein Reiter seine Mutter besuchen wollte und da ist eine Elfe auf ihn zugekommen. Sie hat ihn praktisch weggelockt und dann wurde er von dieser Elfe sogar …
Micha: … richtig durchgenommen.
Specki: Und dann wurde er erstochen. Das ist die Sage von Olaf. Wie hiess er mit Nachnamen?
Micha: Olafur Lysi…
MF: ...okay, dann recherchiere ich mal nach dem Original.
Es handelt sich um eine alte isländische Skalden-Dichtung (Olafur Liljuros (TSB A 63)). Viele dieser Dichtungen sind im neunten Jahrhundert entstanden und wurden im 17. Jahrhundert verboten. In dieser Zeit bemühte man sich, das Christentum vollständig zu verankern, und viele alte heidnische Traditionen, Lieder, Tänze und Rituale wurden als unchristlich oder sogar teuflisch betrachtet. Diese Balladen sind oft in Sammlungen von isländischen Volksdichtungen und Liedern zu finden. Häufig werden Volksglaube, heidnische Elemente und Mythologie miteinander verknüpft.
Micha: Das Video gibt es ja komplett auf YouTube zu sehen.
MF: Ich bin wohl nicht so sattelfest in Isländisch. Ihr macht es uns Konsumenten ja oft nicht so einfach mit den Texten. So exotische Fremdsprachen kann der geneigte Zuhörer oft nicht. Was uns zu dem nächsten Song bringt: «Terra Mater» Ich würde da aus Erfahrung auf Latein tippen. In dem Song spricht die Mutter Erde. Nur kann ich hier nicht jede Zeile verstehen.
Micha: Mutter Erde. Das, was ich in Deutsch singe, ist die Übersetzung für die lateinischen Zeilen.
MF: Ein beeindruckender Song ist «Aus Leben gemacht». Jetzt habt ihr oder mehr du mit den Kellys ja schon «Why Why Why» zusammen gemacht. Gibt es da eine besondere Verbindung zu ihnen?
"…Kennengelernt habe ich Joe Anfang der 90er auf dem Alexanderplatz in Berlin…"
Micha: Joe und ich sind seit über dreissig Jahren ganz ganz dicke Freunde. Nicht nur Kumpels, sondern echte Freunde. Ich kenne jeden von dieser Familie, ich kannte den Vater noch. Kennengelernt habe ich Joe Anfang der 90er auf dem Alexanderplatz in Berlin. Ich habe Strassenmusik gemacht, mit Dudelsack. Irgendetwas gespielt, und mit der Kohle bin ich in die Kaufhalle gegangen und wollte mir etwas zu essen kaufen. Und dann komme ich wieder, und dann stand die Kelly Family auf meinem Platz. Und Joe hat mich hier gehabt (greift sich an den Hals) und ich habe ihn so gehabt (macht die entsprechende Geste). Daraus ist eine riesige Freundschaft entstanden. Ich weiss noch, wie Paddy als Wickelkind war. Jimmy war auch mit dabei. Joe kam ins Studio und sagte: "Jimmy kommt auch noch". Ich fragte: "Oh, warum denn das?". Er sagte: "Er singt besser als ich!"
MF: Stimmt allerdings.
Micha: So war das dann auch. Wir haben dazu auch ein Video bei Joe auf dem Hof gedreht. Das kommt dann irgendwann später, und die Geschichte ist eigentlich unser Werdegang. Erst hat man uns belächelt, und dann verkaufst du die Loreley aus. Das hat mit Joe total gepasst. Uns verbindet ein ziemlich gleicher Weg.
MF: «Katzengold» ist ein Song, der mich überrascht hat und mich auch nachdenklich zurück gelassen hat.
Micha: Ich höre das nicht zum ersten Mal. Er hat was. Er bleibt im Gehirn sitzen. Das «Dumm… Dumm… Dummheit» ist ein Schlachtruf, der irgendwie hängen bleibt. Und die Aussage kann man schon als versteckt politisch sehen. Es ist nicht nur die Lage in Deutschland, sondern mittlerweile auf der ganzen Welt.
MF: Jetzt aber schnell weiter zu etwas Fröhlicherem. Dreissig Jahre In Extremo. Was habt ihr vor? Wie feiert ihr?
Micha: Es ist nicht nur in Planung, sondern alles schon in Sack und Tüten. Alles! Erste Septemberwoche 2025, drei Tage Loreley. Wie zum 20. Jubiläum, nur einen Tag mehr. Für jedes Jahrzehnt ein Tag. Feuerschwanz, wahrscheinlich FAUN, Windrose, Clawfinger werden mitspielen. Mega Line-up!
MF: Die Loreley zum 20. Jubiläum war ja an beiden Tagen ausverkauft. Und jetzt legt ihr noch einen drauf und macht sie drei Tage voll? Ich kann mich gut an die Interviews erinnern. Was mir geblieben ist, war die Erkenntnis, dass es dich emotional überwältigt hat und dass dir nachgesagt wurde, dass du Tränen in den Augen hattest.
Micha: Echt? War das so (fragt Specki)? Aber das kann schon sein. Ich heule drei Mal am Tag. (lacht herzlich).
Es ist schon überwältigend. Du gehst auf die Bühne, und du weisst genau, das ist dein eigenes Festival für zwei Tage. Die kommen da alle wegen dir hin. Zwei Tage Loreley ausverkauft – 12'000 Leute an einem Tag. Das macht was mit dir.
In Wacken haben wir zum Beispiel als Headliner gespielt. Nach dem Song «Sternhagelvoll» haben diese 85'000 Leute alleine weiter gesungen. Wir sassen auf der Bühne und dachten: "Das gibts doch nicht!" Ich musste das dann unterbrechen, weil wir ja weiter spielen wollten.
"…Kommt am ersten September-Wochenende 2025 auf die Freilichtbühne Loreley und feiert mit uns 30 Jahre Bandgeschichte…"
MF: So, nun noch schnell die nächste Frage, bevor ihr weiter müsst (Tourmanager Dirk hatte schon vor geraumer Zeit zum Aufbruch geblasen). Was möchtet ihr den Schweizer Fans noch zum Abschluss mitteilen?
Micha: Wir freuen uns auf das Z7. Sowieso. Vielleicht spielen wir im August 2025 auch wieder in der Schweiz. Es ist noch nicht ganz raus, aber wir sind ja ohnehin wirklich gerne in der Schweiz. Schon immer. In der Schweiz gibt es schliesslich auch Softpack Parisienne. (lacht)
Wir laden unsere Schweizer Fans ein. Kommt am ersten September-Wochenende 2025 auf die Freilichtbühne Loreley und feiert mit uns dreissig Jahre Bandgeschichte.
(Anmerkung der Redaktion: Specki hatte sich bereits früher verabschiedet, weil er Dirks Ruf gefolgt war.)
MF: Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast. Es hat mir viel Spass gemacht. Ich hoffe, wir wiederholen das noch einmal irgendwann.
Micha: Ja mir auch. War richtig toll. Ich hoffe wir sehen uns im November im Z7.