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"There is no possibility of return." ("Es gibt keine Möglichkeit zur Rückkehr" aus "The Wandering Earth")
Als langjähriger Fan von Cixin Liu höre ich in ARCADEAs «The Exodus Of Gravity» überall "The Wandering Earth" heraus: dieselbe planetarische Bewegung, derselbe motorisierte Schwung und derselbe düstere, hartnäckige Optimismus. Denn in beiden Werken wird dargestellt, wie sich die Menschheit durch rücksichtsloses Ingenieurwesen und Ehrfurcht aus dem Griff der Schwerkraft befreit.
«The Exodus Of Gravity» von Arcadea klingt wie eine stroboskopbeleuchtete Postkarte aus einer Zukunft, in der "unten" nur noch ein Gerücht ist. Das Trio nutzt den musikalischen Raum als Choreografie: Das Schlagzeug treibt und dreht sich wie Laufbänder, die Synthesizer winden und brechen sich wie tanzende Polar-Lichter und die helle, beschwingte Stimme durchschneidet die Schaltkreise, als würde sie neue Sternbilder beim Namen nennen. Das Konzept ist sofort verständlich: eine Welt jenseits des Zusammenbruchs der Schwerkraft, in der Gefühle das Vakuum füllen. Und entscheidend ist, dass die Band diese Idee auch physisch umsetzt. Anstelle von labyrinthischen Prog-Umwegen bewegen sich diese Songs in geraden, selbstbewussten Linien. Sie sind so konstruiert, dass sie den Raum nach vorne neigen.
Brann Dailors Präsenz am zentralen Mikrofon verlagert die Schwerkraft des Projekts, ohne dessen Puls zu dämpfen. Seine Phrasierung reitet auf der Dynamik des Schlagzeugs und verwandelt den Groove in eine Erzählung, während Core Atoms und João Nogueira Synthesizer verweben, die eher wie biolumineszente Pflanzen als wie Maschinen leuchten. Vintage-Farben, Mellotron-Nebel und Theremin-Seufzer wirken dabei nicht nostalgisch, sondern wie emotionale Abkürzungen. Klangfarben, die sofort Ehrfurcht, Distanz und das Gefühl vermitteln, dass der Himmel zuhört. Atoms bringt es auf den Punkt: "Ich wollte Technologie nutzen, um meine Kunst auszudrücken, und nicht umgekehrt." (capitalchaostv, 5. August 2025)
Track für Track verhält sich das Album wie eine Sternenkarte, auf der man sich bewegen kann. Der Titeltrack bricht mit elastischem Bass und himmelerschütternden Leads auf, «Dark Star» glimmt, bevor es aufblüht, und «Lake Of Rust» verwandelt Korrosion in eine Art Hymne. Wenn «Fuzzy Planet» einsetzt, zeigt das Album seine Zähne: ein prismatischer Slow Rush, der einen ausserirdischen Planeten vorstellt, auf dem Chemie, in allen Varianten, Körper in Nebel und Absichten in Licht verwandelt. "Das ‚fuzzy Gefühl‘ war sowohl durch Drogen als auch durch Liebe hervorgerufen", sagt Atoms, und der Song trägt diese schwindelerregende Wärme ohne jede Entschuldigung. An anderer Stelle lässt «Starry Messenger» mein immer geliebtes Theremin sprechen, als wäre das Firmament vom Leuchten heiser. Atoms nennt es "die Stimme der leidenden Sterne, eine Beschreibung, die beim Anhören sofort Sinn ergibt." (capitalchaostv, 5. August 2025)
Auffallend ist, wie menschlich sich der Futurismus anfühlt. Die Geschichte des Albums suggeriert Sporen und Empfindungs-Fähigkeit, Maschinen und Empathie, doch die im West End Sound aufgenommene Produktion hält alles auf Haut-Temperatur. Die Kicks kommen mit der Wucht von Meteoren, doch nichts wird trüb, die Arpeggios glitzern, doch nichts wird spröde. Selbst die lautesten Ecken laden ein: "Kommt rein, bewegt Euch ein bisschen, lasst das Konzept Euch zuerst auf Hüfthöhe finden." Die Geschichte der Band mit ihren komplexen Arrangements blitzt in den Details durch, doch «Exodus» zieht es vor, voranzutreiben statt zu verwirren. Wenn die Rhythmus-Gruppe einsetzt, kippt der Boden in Richtung Spass und die Theorie schmilzt bei Kontakt.
Bis sich der letzte Refrain in Glanz auflöst, hat «The Exodus Of Gravity» etwas still Radikales vollbracht: Es verkauft eine Vision vom Leben nach der Schwerkraft, eine Vision, die eher zart als klinisch, eher gemeinschaftlich als einsam und eher ekstatisch als leidenschaftslos ist. Das Album imaginiert Maschinen, die fühlen, und Menschen, die sich anpassen, und verwandelt diese Philosophie in eingängige Melodien. Science-Fiction als Spiegel, der Club als Zufluchtsort. Man verlässt den Raum nicht mit Handlungs-Strängen, sondern mit Schwung, als hätte man gelernt, in einer schwereren Welt ein wenig leichter zu gehen.
Lukas R.